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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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zeigen möchten, aber auch, was sie verzweifelt zu verbergen suchen. Kurz nachdem ich geboren wurde, zieht sie dann in den Norden zu etwas Größerem, Weiterem, zu etwas, das als Landschaft oder Abstraktion zu denken sie sich strikt weigert, auch wenn es genau dazwischen zu liegen scheint.
    Als ich später diesen Abschnitt las, dachte ich an das unvollendete Bild auf dem Treppenabsatz und fragte mich, was sie in mir gesehen hatte, das sie aufgeben ließ. Was hatte ich zeigen wollen? Was verzweifelt zu verbergen gesucht? Und was hatte sie gezwungen, die Pinsel beiseitezulegen und die Leinwand von der Staffelei zu nehmen? Dieser Gedanke kam mir zuerst – und dann fragte ich mich, warum sie das Bild auf den Treppenabsatz gehängt hatte, so dass ich es jeden Morgen sah, wenn ich nach unten zum Frühstück ging. Was machte dieses Geschenk aus? An all diese Dinge dachte ich später, in jenem Sommer aber nahm ich an – nachdem die Zeitschrift in einem ihrer Verstecke oben im Atelier verstaut worden war und wir die alltägliche Routine wiederaufgenommen hatten –, dass sie Frank ein wenig vermisste und sich deshalb vielleicht ärgerte, weil sie dadurch von ihrer Arbeit abgelenkt wurde und hoffte, dass die ganze Geschichte bald wieder vergessen sein würde. Was damals auch allem Anschein nach einzutreffen schien, denn wenn ich heute zurückdenke, kommt es mir so vor, als hätte es, zumindest eine Zeit lang, nur uns beide gegeben, zwei Frauen in einem stillen Haus, die ihren üblichen, wenn auch jetzt leicht geänderten Pfaden folgten zwischen dem, was laut ausgesprochen werden konnte, und dem, dessen wir uns mehr oder weniger bewusst waren, über das zu schweigen wir aber beschlossen hatten.

***
    Natürlich waren wir nicht allein. Wir hatten Nachbarn. Wir hatten die Freier. Martin Crosbie wohnte noch unten im Sommerhaus, auch wenn ich ihn nur selten sah. Nachdem ich die Bildersammlung entdeckt hatte, mied ich die Hytte auf meinen Wegen durch das Birkenwäldchen, an unserem Haus, aber auch dann, wenn ich der Straße nach Brensholmen oder jenem Pfad folgte, der an Kyrre Opdahls Haus vorbei weiter oben zum Fjord führte. Hin und wieder sah ich Kyrre; an manchen Tagen besuchte ich ihn auch, und während er an einem alten Maschinenteil oder einer kaputten Uhr arbeitete, setzte ich mich zu ihm in die Küche, so wie ich es früher oft getan hatte. Nur war es nicht mehr ganz wie früher – das wusste ich, hätte den Grund dafür aber nicht nennen können. Er erzählte mir immer noch Geschichten, und manchmal redete er von der Huldra, doch verlor er kein Wort mehr über die Jungen der Sigfridssons oder über Maia. Damit war er fertig. Er hatte sich die ganze Geschichte in seinem Kopf zurechtgelegt und begann, seinen Plan, das Land von diesem Fluch zu befreien, in die Tat umzusetzen, auch wenn dies bedeutete, dass er sich selbst dabei verlor.
    Wir waren also nicht allein, wenn auch, zumindest im Haus, voneinander getrennt. Eines Tages dann, nicht an einem Samstag, kam jemand an die Haustür und klopfte. Ich war allein in der Küche – Mutter hatte bis in die frühen Morgenstunden gearbeitet und schlief jetzt in ihrem Zimmer im hinteren Teil des Hauses –, und einen Moment lang hatte ich Angst. Ich weiß nicht, mit wem ich rechnete – vielleicht kam Martin Crosbie aus der Hytte, um das Verschwinden der Bilder schönzureden, vielleicht kam Frank Verne aus New York, um Mutter in ein neues Leben zu entführen –, nur war ich einen Moment lang wirklich erschrocken und dann erleichtert, als Ryvold auftauchte und vorsichtig in den Flur lugte, um zu sehen, ob jemand daheim war. Ich war erleichtert – und freute mich möglicherweise sogar, ihn zu sehen, auch wenn er an einem Mittwoch eigentlich gar nicht hier sein sollte.
    Ich war seit Stunden auf, was nichts Besonderes war; im Sommer fand ich es sogar eher normal, die halbe Nacht wach zu bleiben, mit einem Bildband im Bett zu liegen oder am Fenster zu sitzen und über die hellen Wiesen zu schauen. Meist versuchte ich zu schlafen, wurde dann aber hungrig oder ruhelos, weshalb ich aufstehen und mich bewegen musste. An jenem Morgen war ich wach geworden, hatte den Kessel aufgesetzt und Frühstück gemacht – ich hatte sogar Radio gehört und mir keine besondere Mühe gegeben, leise zu sein, obwohl ich wusste, dass Mutter im Bett lag. Ich gab mir nie Mühe, leise zu sein, zum einen, weil es mir nicht gefiel, wie ein Dieb durchs Haus zu schleichen oder wie ein Gast, der zu lang geblieben

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