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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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drehten sich, etwas passierte, doch was, das konnten jene, die sie kannten, ich selbst eingeschlossen, nur erraten. Deshalb sah ich sie so gern schlafen: Denn ein- oder zweimal schenkte sie mir, ohne es auch nur zu ahnen, einen Hinweis, ein Lächeln, ein paar gemurmelte Worte, die zwar keine Unentschlossenheit verrieten, aber doch auf einen laufenden Prozess hindeuteten, auf Verlangen oder Furcht oder auch die Spur einer Sehnsucht, die sie noch nicht aufgegeben hatte.
    Als ich nun in der Küche saß, mich umdrehte und entdeckte, dass Ryvold schüchtern den Kopf durch die Haustür streckte, stand ich auf, um ihn hereinzubitten. Sobald er mich bemerkte, trat er ein und kam den Flur entlang zur Küche. Er hatte einen merkwürdigen, verstörten Ausdruck im Gesicht und wirkte irgendwie verloren, vielleicht auch wie jemand, der sich über etwas Sorgen machte – über etwas, das er, würde er danach gefragt, nicht benennen konnte, entweder, weil er keine genaue Antwort wusste oder weil die Gründe für seine Besorgnis zu privat waren, vielleicht auch zu delikat. Ich deutete unbestimmt auf einen Stuhl und fragte, ob er einen Kaffee wolle. Er gab keine Antwort, stand bloß mitten in der Küche und schaute sich um, als suchte er nach etwas – und mir wurde klar, dass er sich fragte, wo Mutter blieb. Er war natürlich gekommen, um sie zu sehen, und was immer ihm zu schaffen machte, hatte etwas mit ihr zu tun.
    » Mutter schläft noch«, sagte ich. » Sie hat wieder die ganze Nacht gearbeitet.«
    » Aha.«
    » Aber nehmen Sie doch Platz. Ich habe gerade frischen Kaffee gemacht.«
    » Na ja«, sagte er und verharrte einen Moment unschlüssig, ehe er sich setzte. » Ich will nicht stören …«
    Ich lachte. » Die Gefahr besteht nicht«, sagte ich. » Ich trödle nur herum.« Dann schenkte ich ihm eine Tasse Kaffee ein und stellte sie auf den Tisch. » Und es besteht auch keine Gefahr, Mutter zu stören. Wenn sie nachts so lange auf war, schläft sie wie ein Stein.« Ich warf ihm einen hoffentlich beschwichtigenden Blick zu. » Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.«
    Das schien ihn zu verwirren. » Sorgen?«, sagte er. » Nein, nein, ich bin nicht … besorgt …«
    Ich lachte erneut. » Na ja, aber Sie sehen so aus.«
    » Besorgt?« Er schien jetzt unsicher, nicht so sehr, ob er tatsächlich besorg t war, sondern weil er sich offenbar fragte, was das Wort eigentlich bedeutete. Einen Moment lang dachte er nach. » Nein«, sagte er dann. » Ich bin nicht – besorgt. Es ist nur …« Er nippte an dem Kaffee und verschaffte sich so einen Augenblick, um sich zu fassen, denn es gab da etwas, das er zu sagen hatte, und auch wenn er mit Mutter reden wollte, überlegte er nun, ob er es, was immer es auch war, nicht mir sagen konnte. Er überlegte, vermochte sich aber nicht zu entscheiden. Dann lächelte er. Es war ein Lächeln, wie ich es gelegentlich bereits an einem Samstagmorgen gesehen hatte, wenn ich denn einmal bei Mutters Teeparty dabei gewesen war, ein Lächeln, das Rückzug signalisierte – Rückzug, aber keine Kapitulation, eher die willentliche Entscheidung, sich der Gesellschaft nicht aufzudrängen, indem er zu viel erzählte. Erzählte – oder offenbarte. Nicht dass er, was seine Privatsphäre anging, besonders geheimniskrämerisch oder schutzbedürftig gewesen wäre. Er wollte anderen nur nicht zur Last fallen. Und mit einem Mal verstand ich, warum er von der Narziss-Geschichte so fasziniert war, wieso sie für ihn nicht nur theoretische, sondern konkrete Bedeutung hatte. Sie war etwas, wonach er lebte. Es konnte ihm durchaus Vergnügen bereiten, sich selbst in der Welt zu entdecken, doch wollte er sichergehen – diese Sicherheit war für ihn entscheidend –, dass niemand sonst den Eindruck hatte, dieser Entdeckung beiwohnen zu müssen. Was etwas anderes als Zurückhaltung ist, gewiss, denn Zurückhaltung ist der verdeckte Versuch, gesehen werden zu wollen, und ihm kam es eher auf eine subtile Form der Abwesenheit an. Was wiederum erklärte, warum ich ihn schon immer gemocht hatte, und warum ich ihm schon immer mit Misstrauen begegnet war, denn aus völlig anderen Gründen als ich tat er in aller Stille das Einzige, das ich überhaupt der Mühe wert fand. Und nun war er hier und brachte alles in Gefahr. Beinahe. Er hatte nahe am Abgrund gestanden, doch nun wich er zurück, ein leises, fast zerknirschtes Lächeln im Gesicht. » Es besteht die Möglichkeit, dass ich für eine Weile fortmuss. Deshalb habe ich

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