In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
gedacht …« Er stand auf. » Aber so dringend ist es nicht. Es kann warten.« Er lachte. » Eigentlich ist es überhaupt nicht dringend«, sagte er – vor allem zu sich selbst.
Ich stand nun auch auf, aber er ging bereits zum Flur, immer noch diesen merkwürdigen Ausdruck im Gesicht. » Warum warten Sie nicht noch ein bisschen?«, fragte ich. » Sie schläft seit Stunden, also wird sie bestimmt bald wach …«
Er schüttelte den Kopf. » Nein, lieber nicht. Sie soll schlafen, so lang sie mag. Ich komme später noch mal wieder.« Seine Miene verdunkelte sich erneut, und er schaute mich an. Er wirkte tatsächlich seltsam zerknirscht, wollte zugleich aber unbedingt wieder gehen. » Danke für den Kaffee.«
Ich winkte ab. Seine Überkorrektheit begann mir lästig zu werden, und plötzlich – auch wenn es etwas war, was mich bis zu diesem Moment nie beschäftigt hatte – begriff ich, warum er nie geheiratet hatte. Er war jemand, der allein leben musste, jemand, der es schwierig fand, mit anderen auf Dauer zusammenzuleben, da er nur eine einzige Verhaltensweise kannte – die diskrete Kunst des Rückzugs, und zweifellos hatte es ihn viele Jahre gekostet, sie zu perfektionieren. Er verfügte über keine anderen Strategien, um mit Menschen auszukommen. Seine Kollegen hielten dies vermutlich für das Kennzeichen eines sanften, gelehrten, einfühlsamen Menschen, doch plötzlich vermochte ich diesen Zug an ihm zu durchschauen. Nicht weil ich besonders scharfsichtig gewesen wäre, sondern weil ich ihm ähnlich war. Er hatte mit dieser Verhaltensweise schon so lange gelebt, dass er sie fast nicht mehr wahrnahm, aber ich war noch eine Anfängerin, und für mich war sie schmerzhaft offenkundig. » Und?«, fragte ich. » Wann reisen Sie ab?«
» Ach, bis dahin ist es noch eine Weile«, sagte er. » Ich bin nur … Noch ist eigentlich nichts entschieden.«
Er wich mir aus, natürlich, und ich wusste es. Kaum hatte er das gesagt, wusste ich auch, dass er vielleicht nicht wiederkommen würde – doch eher um seinet- als um meinetwillen tat ich weiterhin, als ob nichts wäre. » Und wie lange werden Sie fort sein?«
Er lächelte. Es war ein entschuldigendes Lächeln, doch war die Entschuldigung nur der Versuch, seine Traurigkeit zu verbergen, was nicht ganz klappte. Natürlich war sie ihm nicht direkt anzumerken, trotzdem sah ich ihm an, dass sie hinter der Fassade lauerte. » Das ist auch noch nicht ganz sicher«, sagte er. » Vielleicht nicht sehr lang, vielleicht aber …«
Dann sagte er nichts mehr – doch ich wusste, wie die unausgesprochene Hälfte des Satzes lautete, und nickte, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstand. » Nun«, sagte ich und fand, dass ich – zumindest für meine Ohren – genau den richtigen Ton förmlicher Höflichkeit traf, » ich werde Mutter sagen, dass Sie hier waren.« Dann widerstand ich dem Drang, ihm zum Zeichen des Abschieds, zu dem diese Begegnung zu werden drohte, die Hand zu geben. Und ich glaube, ihm ging es ähnlich.
» Ich hätte vorher anrufen sollen«, sagte er noch leise, während er über den Flur ging – und ich folgte ihm, da ich fürchtete, er sei aufgebracht oder enttäuscht. Als er sich dann umdrehte, sah ich wie sein Gesicht aus keinem für mich ersichtlichen Grund plötzlich leuchtete, sich von innen aufhellte, wie ich es niemals erwartet hätte; die Augen strahlend, als stiege irgendwas aus seinem tiefsten Innern ins volle Tageslicht und tauchte alles in schimmernde Helligkeit. Es war, als ginge man an einem verregneten Abend draußen auf der Landzunge an einem einsamen Haus vorbei, in dem jemand eine Lampe anzündet, so dass die Fenster sich mit fahlem, dünnem Gold überziehen. Alles wird dann von einem Hauch Wärme gestreift; die Dunkelheit scheint auf einmal nicht mehr so endlos, wirkt begrenzter, weicher, sanfter, fast hjemlig. » Ich weiß nicht, was geschehen wird«, sagte Ryvold lächelnd. » Es ist alles noch ziemlich in der Schwebe, und es wird eine Weile dauern, bis sich die Sache entscheidet.« Ich wollte ihn fragen, welche Sache er denn meinte, doch ehe ich dazu Gelegenheit fand, drehte er sich mit immer noch strahlendem Gesicht um, schritt rasch durch den Garten davon und schlug den Weg durch den Birkenwald zur Straße ein.
***
Ich weiß heute nicht mehr genau, wie es entschieden wurde, doch zwei Tage nach Ryvolds seltsamem Besuch wurde entschieden, dass ich nach England fahren sollte. Ich finde mich auch damit ab, dass ich Anteil an dieser
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