Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
Vom Netzwerk:
Entscheidung hatte, obwohl ich nur zugestimmt habe, weil mir keine andere Wahl blieb. Irgendwie hatte Kate Thompson unsere Telefonnummer herausgefunden und angerufen – und es war reiner Zufall, dass weder Mutter noch ich den Anruf entgegennahmen. Sie hinterließ eine Nachricht, natürlich – warum auch nicht? –, und es war diese Nachricht, die die Sache ins Rollen brachte. Ich brauchte einen ganzen Abend, um zu der Einsicht zu gelangen, die Mutter schon in dem Moment kam, als sie hörte, wie Kate Thompson – auf ihrem Anrufbeantworter – über Arild Frederiksen redete, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, weshalb es in dem Moment, in dem sie mir die Nachricht vorspielte, auch unvermeidlich schien, dass ich mich entschied, die Sache ein für alle Mal zu beenden – und da blieb mir nur die Möglichkeit, nach England zu fahren. Nicht um mich mit meinem neuen Vater anzufreunden oder die Rolle in einem Fantasiestück der glücklichen Wiedervereinigung zu spielen, das Kate Thompson vorschweben mochte, sondern um ihnen beiden klarzumachen, dass ich keinen Wunsch hegte, mit irgendwem wiedervereinigt zu werden. Sobald die Entscheidung gefallen war, wusste ich, dass das ausreichte, so wie ich wusste, dass weitere Briefe und Anrufe kämen, wenn nichts dagegen unternommen wurde. Und das konnte ich schon um Mutters willen nicht zulassen. Sie nahm es ganz gelassen, sicher, trotzdem wusste ich, dass der Anruf für sie ein Eindringen in ihre Privatsphäre war, und sie wollte derlei einen Riegel vorschieben. Ich wusste auch, dass sie ihre Gelassenheit nur vortäuschte, um keinen Druck auf mich auszuüben. Was natürlich bedeutete, dass ich diejenige war, die sich für die Fahrt nach England entscheiden musste, auch wenn ich wusste, dass mir eigentlich keine Wahl blieb, denn in unser aller Interesse war meine Abreise unumgänglich. Also entschied ich mich. Ich entschied mich noch am selben Abend, und am nächsten Morgen waren Flüge und ein Hotel für das nächste Wochenende gebucht. Kate Thompson hatte sich im Namen von Arild Frederiksen erboten, für die Kosten aufzukommen, aber davon wollte Mutter nichts wissen. Stattdessen suchte sie mir ein kleines Hotel, buchte meine Flüge und fand die Abfahrtszeiten der Züge heraus, die mich mit einem Minimum an Unannehmlichkeiten an mein Ziel bringen würden – laut Mutters altem Reiseführer eine ländliche Marktstadt in den englischen Midlands.
    Zwei Tage später kam der Mann von Fløgstads, um einen Schwung Bilder für Mutters bevorstehende Ausstellung abzuholen – und am selben Morgen führte ich mein letztes Gespräch, wenn es denn ein Gespräch genannt werden konnte, mit Martin Crosbie. Wahrscheinlich war er spazieren gewesen und hatte den Lieferwagen gesehen. Vielleicht war ihm da eingefallen, dass dies perfekten Vorwand bot, um herauszufinden, ob ich meiner Mutter etwas über die Bilder auf seinem Laptop erzählt hatte – und wenn ja, was. Vielleicht war er auch mit einer vorbereiteten, plausiblen Geschichte zu uns gekommen, bereit, mir darzulegen, dass ich ihn falsch verstanden hatte, dass die Bilder Teil eines Projektes gewesen waren, an dem er arbeitete. Vielleicht wollte er auch nur darauf hinweisen, dass die Aufnahmen weder pornografisch noch in irgendeiner Weise kriminell waren – und ich musste zugeben, dass jedes einzelne Bild für sich betrachtet keine hochgezogenen Augenbrauen verursacht hätte. Von den Mädchen war nichts offenkundig Sexuelles ausgegangen – keine verführerischen Posen, keine fetischistischen oder knapp sitzenden Kleider. Hätte man Martin Crosbie zur Rede gestellt, hätte er überzeugend darlegen können, dass er nichts Verbotenes tat. Er hätte sagen können, dass die Bilder für ihn eine abstrakte Qualität besaßen – Schönheit etwa oder Unschuld –, und dass sein einziges Vergehen in einer gewissen altmodischen Vorliebe für das Reine und Unbefleckte bestand. Wie sein Held Lewis Carroll war er ein schüchterner, reservierter Mann, der, da ihn das Vulgäre des modernen Lebens abschreckte, Zuflucht in einer Traumwelt suchte, die ihm Trost spendete, obwohl er wusste, dass es diese Welt nicht gab. Vielleicht würde er sogar zugeben, ein trauriger Fall zu sein, jemand, der nicht so weltverbunden wie die meisten Menschen war; trotzdem würde er daran festhalten, dass er nichts Falsches getan hatte. Allerdings dürfte er inzwischen erraten haben, dass ich es besser wusste – und es war für mich ein Schock, ihn an unserem Tor und

Weitere Kostenlose Bücher