In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
gehen. Und in dem Moment, in dem er sich Mutter vorstellte, hatte sie dies gespürt, dies oder etwas Ähnliches. Derart zurechtgewiesen, dachte Mutter einen Moment nach, ehe sie dann mit einem angedeuteten Lächeln um die Mundwinkel das Gespräch wiederaufnahm – allerdings war das Lächeln diesmal echt. » Du hast recht«, sagte sie. » Es ist bloß eine Geschichte.« Und an Martin gewandt fuhr sie fort: » Tut mir leid, Mr. Crosbie. Wir bekommen hier draußen nur selten Besuch und müssen daher Mittel und Wege finden, uns in langen Winternächten zu vergnügen.« Sie reckte den Hals ein wenig und linste ins Innere des Lieferwagens. » Jedenfalls«, schloss sie, » war es nett, Sie kennenzulernen, doch bleibt noch einiges zu verpacken. Ich muss nach dem Rechten sehen.« Sie hielt ihm die Hand hin. » Mr. Opdahl kümmert sich bestimmt gut um Sie, aber wenn Sie je etwas brauchen sollten, lassen Sie es uns wissen.«
Martin Crosbie rang sich ein Lächeln ab, doch sah er dabei ganz und gar nicht glücklich aus. Einen Moment lang starrte er sie an, unsicher, was er sagen sollte – und es war kaum zu übersehen, dass er meinte, etwas sagen zu müssen –, dann aber ergriff er ihre Hand, schüttelte sie, wandte sich mit einem schüchternen Seitenblick auf mich ab und ging den Weg hinunter. Mutter blieb noch kurz stehen, um ihm nachzusehen; erst als er das Gartentor hinter sich geschlossen hatte und außer Hörweite war, drehte sie sich zu mir um. » Der arme Kerl«, sagte sie. » Mir ist schleierhaft, was du an ihm findest.«
Ich schüttelte den Kopf. » Was soll das denn heißen?«
» Läufst du denn nicht ständig aus dem Haus, um ihn zu besuchen?«, fragte sie und bedachte mich mit einem amüsierten Blick, als hätte sie mich bei einer Lüge ertappt.
» Keine Ahnung, was du meinst«, antwortete ich. » Seit er hier ist, habe ich mich erst zweimal mit ihm unterhalten.«
» Na ja, dann«, sagte sie, ehe ich weiterreden konnte – und ich sah ihr an, dass sie bloß spielte, um etwas zu verbergen, etwas, das sie sehr ernst nahm. » Vielleicht solltest du es dabei belassen.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging zum Haus, in dessen Tür gerade der vermeintliche Axtmörder auftauchte, wohl weil er neue Anweisungen hinsichtlich der zu erledigenden Arbeit brauchte. Und doch dachte ich angesichts seines merkwürdigen Gesichtsausdrucks unwillkürlich, dass er wusste, wie wir über ihn geredet hatten; weshalb er uns wissen lassen wollte, dass er, solange er hier war, fern der eigenen Welt, alles andere außer seiner Arbeit vollkommen bedeutungslos fand.
***
Die Vermutung, die Mutter an jenem Tag über Martin Crosbie und mich äußerte, hatte mich schockiert – auch wenn sie nur zu ihrem Spiel gehörte. Wenn ich daran denke, was später geschah, wenn ich an die Wirkung denke, die diese Ereignisse offenbar auf mich gehabt haben, überrascht es mich erst recht, wie wenig ich tatsächlich über diesen Mann wusste. Wir sind uns nur zweimal begegnet und haben eine Weile über nichts weiter geredet, wobei ich ihn auf planlose Weise seinen Beschäftigungen nachgehen sah, doch habe ich im Grunde nichts über sein Leben erfahren. Ich kannte keine Fakten, keinen Hintergrund, hatte keine Informationen darüber, woher er kam oder was für ein Leben er eigentlich führte. Nach meiner Entdeckung in der Hytte war ich ihm aus dem Weg gegangen, nur hatte das nicht gereicht, um die Frage in mir verstummen zu lassen, was er wohl im Schilde führte, weshalb ich anfing, hässliche Fantasien zu hegen, denen zufolge er mich beobachtete, die Kamera griffbereit, sooft ich in den Garten trat oder am Strand spazieren ging. Ich wusste nicht, warum er die Bilder gemacht hatte, die ich auf seinem Computer fand; ich wusste nicht, ob er nur ein trauriger Fantast war, der gern durch die Gegend schlich, um junge Mädchen zu fotografieren, oder ob er ein ausgemachter Jäger war, für den die Fotos nur die erste Phase in einem größer angelegten Plan waren. Das war zwar wohl nie besonders wahrscheinlich, doch kann ich mir rückblickend nicht mehr sicher sein. Er hätte auch ein hoffnungsloser Romantiker sein können, dessen Fantasie ein wenig mit ihm durchging, ein Dodgson unserer Zeit mit einer Datenbank für gestohlene Bilder und einer sarkastischen, selbstironischen Art, die sein scharfes Gespür sowohl für die eigene Absurdität als auch für die so groteske wie rätselhafte Existenz der anderen nicht ganz verbergen konnte. Doch unabhängig
Weitere Kostenlose Bücher