In kalter Absicht
Methoden, sich einen Mann zu angeln.
»Du hast einen anstrengenden Beruf, Kind«, sagte die Mutter und streichelte kurz ihren Arm.
Dann wußte Inger Johanne, daß ihre Mutter Jeans, Sweatshirt und eine vier Jahre alte Brille nicht gerade schmeichelhaft fand.
Lines Haarkur war eigentlich recht angenehm. Die Kopfhaut prickelte, und Inger Johanne spürte geradezu, wie die erschöpften Haarwurzeln unter der Plastikhaube Nährstoffe aufsaugten. Das Wasser hatte ihre Haut gerötet. Jack schlief, und aus Kristianes Zimmer war nichts zu hören. Sie hatte sicherheitshalber die Türen offenstehen lassen.
Fast wäre das Buch über Asbjørn Revheim ins Wasser gefallen. Sie konnte es im letzten Moment noch retten, nahm ihre Kaffeetasse vom Wannenrand und stellte sie auf den Boden.
Das erste Kapitel handelte von Revheims Tod. Johanne fand es etwas seltsam, damit eine Biographie zu eröffnen. Sie wußte nicht so recht, ob sie über Revheims Abgang lesen wollte, und deshalb blätterte sie eilig weiter. Das zweite Kapitel handelte von seiner Kindheit. In Lillestrøm.
Das Buch fiel ins Wasser. Blitzschnell fischte sie es wieder heraus. Einige der Seiten klebten aneinander. Sie brauchte eine Weile, um die Stelle zu finden, bei der es ihr entglitten war.
Da.
Asbjørn Revheim hatte sich bereits mit dreizehn Jahren einen Namenswechsel ertrotzt. Der Biograph ließ sich lang und breit darüber aus, wie ein Elternpaar es im Jahre 1953 zulassen konnte, daß ein blutjunger Knabe seinen Familiennamen verwarf. Aber seine Eltern waren auch nicht irgendwer.
Asbjørn Revheims Geburtsname war Kongsbakken gewesen. Seine Eltern waren Unni und Astor Kongsbakken, sie eine namhafte Teppichkünstlerin, er ein berühmter, um nicht zu sagen berüchtigter Staatsanwalt.
Das Wasser war inzwischen lauwarm geworden. Fast hätte sie vergessen, die Haarkur auszuspülen. Als ihre Mutter um zwei Uhr kam, hatte Inger Johanne kaum Zeit, ihr mitzuteilen, daß sie Kristiane in einer Stunde eine halbe, in lauwarmer Cola aufgelöste Aspirintablette geben sollte und die Kleine ansonsten trinken durfte, was sie wollte.
»Ich bin gegen fünf wieder hier«, sagte sie. »Du kannst Jack im Garten anbinden. Und tausend Dank, Mama.«
Sie vergaß zu erklären, warum an einer Leine zwischen zwei Eßzimmerstühlen eine Biographie zum Trocknen aufgehängt war.
Alvhild ging es wieder schlechter. Der Zwiebelgeruch war zurückgekehrt. Die alte Frau lag im Bett, und die Krankenschwester mahnte Inger Johanne mit strenger Miene, ja nicht zu lange zu bleiben.
»Ich komme in einer Viertelstunde wieder«, drohte sie.
»Hallo«, sagte Inger Johanne. »Ich bin’s. Inger Johanne.«
Alvhild versuchte mühsam, die Augen zu öffnen. Inger Johanne zog ihren Stuhl näher und legte vorsichtig ihre Hand auf die der Kranken. Sie war kalt und trocken.
»Inger Johanne«, wiederholte Alvhild. »Ich habe auf dich gewartet. Erzähl.«
Sie hustete trocken und versuchte sich wegzudrehen. Ihr Kissen war zu tief, ihr Kopf schien darin festzustecken, und sie schaute zur Decke hoch. Inger Johanne nahm eine Papierserviette aus einer Schachtel auf dem Nachttisch und wischte ihr den Mund ab.
»Möchtest du einen Schluck Wasser?«
»Nein. Ich möchte hören, was du in Lillestrøm herausgefunden hast.«
»Bist du sicher … Ich kann doch morgen wiederkommen. Du bist jetzt zu müde, Alvhild.«
»Das entscheide ja wohl immer noch ich.«
Wieder kam dieser schreckliche Husten.
»Erzähl«, befahl Alvhild.
Inger Johanne erzählte. Zuerst wußte sie nicht genau, ob die alte Dame wach war. Dann öffneten Alvhilds Lippen sich zu einem Lächeln, und Inger Johanne erzählte weiter.
»Und dann, heute«, sagte sie endlich. »Heute habe ich entdeckt, daß Astor Kongsbakken Asbjørn Revheims Vater war.«
»Das wußte ich«, flüsterte Alvhild.
»Das wußtest du?«
»Ja. Kongsbakken war doch eine überragende Gestalt. Er erregte in den Juristenkreisen der fünfziger und frühen sechziger Jahre ungeheures Aufsehen. Es wurde ziemlich darüber getuschelt, wie peinlich es für ihn sein mußte, daß sein Sohn solche Bücher schrieb. Er … Aber ich hatte doch keine Ahnung, daß Revheim etwas mit dem Fall Seier zu tun haben könnte.«
»Das hat er vielleicht ja auch nicht.«
Alvhild kämpfte mit dem Kissen. Sie wollte sitzen. Ihre Hand tastete nach einem kleinen Schalter, mit dem man das Kopfende des Bettes höher stellen konnte.
»Bist du sicher, daß das gut für dich ist«, fragte Inger Johanne und
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