In kalter Absicht
sonst Gewebe oder Blutgefäße zerstören könnte.«
»Wird in der Apotheke gekauft … aber wer …«
»Rezeptfrei.«
» Rezeptfrei?«
»Ja. Aber soviel ich weiß, haben es nur wenige Apotheken auf Lager. Es kann bestellt werden. Es gibt außerdem ein rezeptpflichtiges Kaliumchlorid-haltiges Infusionspräparat. Damit werden Patienten mit Kaliummangel behandelt. Ich nehme an, daß die meisten Intensivstationen es vorrätig haben.«
»Habe ich das jetzt richtig verstanden«, fragte Stubø langsam. »Wenn jemand mir eine Spritze mit ausreichenden Mengen verdünnten Kaliums verpaßt, dann sterbe ich. Wenn du mich mehr als eine Stunde später auf dem Obduktionstisch liegen hast, kannst du nur feststellen, daß ich tot bin, nicht aber, warum. Wolltest du mir das sagen?«
»Ja. Aber ich würde natürlich die Einstichstelle sehen.«
»Die Einstichstelle … Aber Kim und Sarah hatten doch keine?«
»Ich habe jedenfalls keine gesehen.«
»Keine gesehen? Du hast die Kinder doch auf Einstichstellen hin untersucht?«
»Natürlich.«
Der Pathologe war erschöpft. Sein Puls raste noch immer, und er atmete schwer.
»Aber ich muß zugeben, daß ich sie nicht rasiert habe.«
»Rasiert? Wir reden hier doch von zwei kleinen Kindern.«
»Auf dem Kopf. Wir versuchen immer, bei den Obduzierten so wenig Eingriffe vorzunehmen wie möglich. Die Angehörigen sollen nach Möglichkeit nicht von dem, was wir tun müssen, abgestoßen oder verletzt werden. Eine Spritze kann man in die Schläfe geben. Das ist nicht leicht, aber möglich. Ich muß zugeben …«
Er konnte Stubøs Atem durch die Leitung hindurch hören.
»… ich habe die Schläfen nicht auf Einstichstellen hin untersucht. Ich habe einfach nicht so weit gedacht.«
Beide hatten denselben Gedanken. Keiner brachte ein Wort heraus. Sarahs Leichnam war für den Pathologen weiterhin zugänglich. Kim war bereits begraben.
»Gott sei Dank haben wir die Einäscherung untersagt«, sagte Yngvar endlich.
»Tut mir leid«, sagte der Pathologe. »Es tut mir wirklich leid. Von ganzem Herzen.«
»Mir auch«, sagte Yngvar. »Wenn ich das richtig verstanden habe, dann hast du eben den perfekten Mord beschrieben.«
50
»Mein Schwiegersohn ist in Kopenhagen«, sagte Yngvar und setzte einen kleinen Jungen auf den Boden.
Der Kleine mochte zwischen zwei und drei Jahre alt sein. Er hatte braune Augen und schwarze Haare und lächelte Inger Johanne verlegen an, während er sich am Bein seines Großvaters festklammerte.
»Er kommt morgen vormittag zurück. Normalerweise ist Amund jeden Dienstag und jedes zweite Wochenende bei mir, aber so, wie die Lage in der letzten Zeit war … Ich habe mich einfach nicht um ihn kümmern können. Und jetzt, in diesem Notfall, konnte ich einfach nicht nein sagen.«
Er ging in die Hocke. Der Junge wollte seine Jacke nicht ausziehen. Yngvar öffnete den Reißverschluß und ließ den Kleinen ansonsten gewähren. Dann gab er ihm einen Klaps auf den Po und sagte:
»Inger Johanne hat bestimmt spannende Spielsachen. Da bin ich mir sicher.«
Warum hast du mich nicht zu dir kommen lassen, dachte sie. Ich war noch nie bei dir, und es ist schon nach acht. Du hast gewußt, daß Kristiane bei Isak ist, und dieses Kind hier gehört ins Bett. Ich hätte zu dir kommen können.
» Schau mal«, sagte sie und nahm den Jungen an die Hand. »Mal sehen, was wir finden.«
Amund strahlte, als sie ihn zu dem Karton mit den Autos führte. Er griff nach einem Trecker und hielt ihn hoch.
»Roter Trecker«, sagte er. »Roter Lastwagen. Roter Bus.«
»Er interessiert sich im Moment sehr für Farben«, sagte Yngvar.
»Dann hat er hier Gelegenheit genug«, sagte Inger Johanne und half Amund mit einem Bulldozer, der die Vorderräder eingebüßt hatte. »Emilie ist seit genau einem Monat verschwunden. Hast du dir das schon überlegt?«
»Nein«, sagte er. »Aber du hast recht. Am 4. Mai. Wo ist Jack?«
»Ich glaube«, begann Inger Johanne, der Junge ließ den Bulldozer los und vertiefte sich in den Anblick eines Krankenwagens, den Isak knallrot lackiert hatte.
»Roter Krankenwagen«, sagte der Junge skeptisch.
Inger Johanne setzte sich an den Eßtisch. »Ich halte es für richtig, daß der Hund da ist, wo Kristiane ist. Und um ehrlich zu sein, das ist auch gut so. Ich habe eine Stunde gebraucht, um den Gestank von Welpe und Hundepisse loszuwerden. Ohne den ganz großen Erfolg, fürchte ich.«
Sie schnupperte in der Luft herum und rümpfte leicht die Nase, dann fügte
Weitere Kostenlose Bücher