Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
der Ehemann, wollte sie natürlich nicht allein lassen; sein Arm lag fest um ihre Schultern, auch dann, wenn sie sich von ihm abwandte. Yngvar hätte bis zum nächsten Morgen warten müssen, um sie dann zu sich ins Büro zu bestellen. Allein, ohne den Gatten. Er brauchte weitere Haken, an denen er Karsten Åsli festmachen könnte. Brauchte mehr als die instinktive Gewißheit, daß dieser Mann gefährlich war. Irgendeine Grundlage für weitere Untersuchungen. Bei seiner Erfahrung und seinem Ruf könnte er vielleicht einen Durchsuchungsbefehl erwirken, wenn er nachweisen konnte, daß Karsten Åsli als einziger alle betroffenen Mütter gekannt hatte. Vor allem, da er selbst das abstritt. Das hätte er Turid Oksøy erklären und sie damit zu einer Aussage zwingen können.
    Sie hatte entsetzliche Angst. Yngvar begriff nicht, wieso. Ihr Sohn war tot; ermordet von einem Verrückten, über den diese Frau eine schützende Hand hielt. Yngvar hätte sie schlagen mögen. Er hätte sich ungeheuer gern über den Tisch vorgebeugt, ihren albernen rosa Pullover gepackt und ihr eine gescheuert. Er hätte gern die Wahrheit aus dem mageren Körper herausgeprügelt. Sie war häßlich. Ihre Haare waren stumpf, ihre Schminke verlief. Ihre Nase war zu groß, und ihre Augen saßen zu dicht beieinander. Turid Sande Oksøy sah aus wie ein Geier, und Yngvar hätte ihr gern die scheußliche Schminke aus dem Gesicht gekratzt und die Wahrheit aus dem dahinterliegenden Spatzengehirn ausgegraben.
    »Und Sie sind sich da also ganz sicher«, sagte er ruhig und strich sich über die Haare.
    »Ja«, beteuerte sie, schaute auf und rieb sich mit dem Daumen über die Tränensäcke.
    »Dann entschuldigen Sie die Störung«, sagte er. »Ich finde allein zur Tür.«
    »Scheiße, Scheiße!«
    Yngvar schlug so hart mit der Faust gegen den Baumstamm, daß die Knöchel zu bluten anfingen. Seine Nackenmuskeln verspannten sich. Er zitterte; er konnte auf der Tastatur des Handys kaum die richtigen Ziffern finden. Er versuchte tiefer zu atmen, aber seine Lunge streikte. Er wußte nicht, wer die größere Angst hatte, er oder Turid Sande Oksøy.
    Er lehnte sich an den Kiefernstamm, um sich besser entspannen zu können. In dem Haus, das er eben erst verlassen hatte, wurden in einem Zimmer nach dem anderen die Lampen gelöscht. Am Ende war nur noch ein Streifen gedämpftes gelbes Licht übrig, der im ersten Stock unter einem Rollo durchsickerte.
    »Hallo?«
    »Hallo.«
    »Hab ich dich geweckt?«
    »Ja.«
    Er bat nicht um Entschuldigung. Als er ihre Stimme hörte, konnte er freier atmen. Er brauchte zehn Minuten, um zu erzählen, wie sein Tag verlaufen war. Ab und zu wiederholte er sich, aber er riß sich zusammen, versuchte sich zur Ruhe zu zwingen. Seine Erzählung in die richtige zeitliche Reihenfolge zu bringen. Sachlich zu sein. Genau. Endlich verstummte er. Inger Johanne schwieg.
    »Hallo?«
    »Ja, ich bin hier«, hörte er sie sehr weit weg.
    Er hielt sich das Telefon dichter ans Ohr.
    »Warum«, fragte er. »Warum lügt sie?«
    »Das liegt doch auf der Hand«, sagte Inger Johanne. »Sicher hatte sie etwas mit Karsten Åsli, als sie schon mit Lasse verheiratet war. Einen anderen Grund kann es nicht geben. Falls sie nicht doch die Wahrheit sagt. Falls sie dem Mann wirklich nie begegnet ist.«
    »Sie lügt. Sie hat gelogen! Ich weiß, daß sie gelogen hat!«
    Wieder schlug er mit der Faust gegen die grobe Rinde. Blut lief über seinen Handrücken.
    »Was soll ich tun? Was zum Teufel soll ich jetzt tun?«
    »Nichts. Heute nacht gar nichts. Fahr nach Hause, Yngvar. Du mußt jetzt schlafen. Das weißt du. Morgen kannst du versuchen, unter vier Augen mit Turid zu sprechen. Du kannst Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um alles über Karsten Åsli in Erfahrung zu bringen. Vielleicht kommt etwas dabei heraus. Etwas, das du mit einem Funken Kreativität dazu verwenden kannst, einen Durchsuchungsbefehl zu erwirken. Morgen. Fahr nach Hause.«
    »Du hast recht«, sagte er kurz. »Ich rufe dich morgen an.«
    »Tu das«, sagte sie. »Bis dann.«
    Dann legte sie auf. Er starrte einige Sekunden lang das Telefon an. Seine rechte Hand tat weh. Inger Johanne hatte ihn nicht zu sich eingeladen. Yngvar stolperte zu seinem Auto und fuhr brav heim nach Nordstrand.

56
    Endlich hatte er etwas zu essen gefunden. Laffen war schon in drei Ferienhäuser eingebrochen, hatte aber nie Erfolg gehabt. In diesem jedoch waren die Schränke reichhaltig mit Konserven gefüllt. Bestimmt war erst

Weitere Kostenlose Bücher