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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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ihn gar nicht sehen. Sie hatte ihn im Grunde nicht um sein Kommen gebeten. Aksel Seier streifte sein neues Sakko ab und fing an, die Glassoldaten in das Seidenpapier zu wickeln, das Mrs.   Davis ihm besorgt hatte.
    Er schnitt sich mit einer kleinen blauen Scherbe in den Finger. Das waren die Reste des Generals, den Inger Johanne Vik zerbrochen hatte. Aksel steckte den Finger in den Mund. Vielleicht hatte die junge Dame das Interesse an ihm verloren, als er einfach verschwunden war.
    Er hatte sich seit 1993, als der Alptraum des triefäugigen Polizisten mit den Schlüsseln aufgehört hatte, ihn zu quälen, nicht mehr so gefürchtet.

55
    »Er war total verrückt«, sagte sie. »Ganz einfach total verrückt.«
    Lena Baardsen hatte ihn ängstlich angesehen, als sie auf sein Klingeln öffnete, obwohl es noch nicht besonders spät war. Sie hatte verweinte Augen, ihre Tränensäcke sahen in dem bleichen Gesicht fast lila aus. Ihre Wohnung wirkte vernachlässigt und ungelüftet, auch wenn sie offenbar versuchte, eine Art Ordnung beizubehalten. Sie bot ihm nichts zu trinken an, hatte selbst jedoch ein geräumiges Glas vor sich stehen, das Yngvars Meinung nach Rotwein enthielt. Als habe sie seine Gedanken erraten, hob sie das Glas und sagte:
    »Auf ärztlichen Rat. Zwei Gläser vor dem Schlafengehen. Besser als Schlafmittel, behauptet er. Um ehrlich zu sein, hilft beides nichts. Aber das hier schmeckt immerhin besser.«
    Sie leerte das Glas auf einen Zug.
    »Karsten war charmant. Anfangs zumindest. Bemühte sich wirklich um mich. Ich war damals blutjung. War soviel Aufmerksamkeit nicht gewöhnt. Ich war ganz einfach …«
    Ihre Augen schlossen sich. »… verliebt«, sagte sie langsam.
    Ihr Lächeln sollte vermutlich ironisch sein. Aber es sah nur traurig aus, vor allem, als sie die Augen wieder öffnete.
    »Aber als wir dann wirklich zusammen waren, drehte er durch. War tierisch eifersüchtig. Krank vor Besitzgier. Er hat mich nie geschlagen, aber am Ende hatte ich eine Sterbensangst vor ihm. Er …«
    Sie zog die Beine auf das Sofa und schien zu frösteln. Dabei war es in der Wohnung sicher fast dreißig Grad warm.
    »Ich hatte bald erkannt, daß er in dieser Hinsicht nicht richtig tickte. Er wurde nachts wach, einfach weil ich auf dem Klo war. Und kam ins Badezimmer und sah mir beim Pinkeln zu. Als glaubte er, ich würde … abhauen. Wir wohnten nicht zusammen. Nicht richtig. Ich hatte ein möbliertes Zimmer, das war zu klein für zwei. Er wohnte in einer Art WG , aber ich glaube, seine Mitbewohner konnten ihn im Grunde nicht ausstehen. Also ist er gewissermaßen bei mir eingezogen. Ohne zu fragen. Nicht, daß er seine Sachen mitgebracht hätte, soviel Platz war da nicht. Aber er riß alles an sich. Räumte weg und machte sauber und hatte alles unter Kontrolle. Er ist wild versessen auf Sauberkeit. War, meine ich. Ich weiß ja nicht, wie er jetzt ist. Er war wahnwitzig ichbezogen. Für ihn hieß es ich, ich, ich. Die ganze Zeit. Heute würde ich mir das nicht gefallen lassen. Aber er sah gut aus. Und war anfangs sehr aufmerksam. Und ich war eben noch so jung.«
    Sie lächelte kurz und so, als wollte sie um Entschuldigung bitten.
    »Wissen Sie«, fragte Yngvar und korrigierte sich dann. »Haben Sie damals etwas über seine Familienverhältnisse gewußt?«
    »Seine Familienverhältnisse«, wiederholte Lena Baardsen tonlos. »Es gab auf jeden Fall eine Mutter. Der bin ich zweimal begegnet. Sie war lieb. Irgendwie. Aber total verhuscht. Karsten hat sie manchmal richtig schikaniert. Obwohl ich den Eindruck hatte, daß er … daß er sie eigentlich liebte. Ab und zu wenigstens. Die einzige, vor der er sich zu fürchten schien, war die Großmutter. Die habe ich nicht kennengelernt, aber meine Güte, was er über die alles erzählt hat …«
    Plötzlich sah sie überrascht aus.
    »Wissen Sie, genau weiß ich das eigentlich gar nicht mehr. Ich kann mich nicht an Beispiele erinnern, meine ich. Seltsam. Ich weiß noch genau, daß er sie gehaßt hat. So kam mir das jedenfalls vor. Er hat sie richtig gehaßt.«
    »Und sein Vater?«
    »Sein Vater? Nein … seinen Vater hat er nie erwähnt, glaube ich. Er mochte eigentlich überhaupt nicht darüber reden. Über seine Kindheit und so. Ich hatte den Eindruck, daß er bei Mutter und Großmutter aufgewachsen war. Bei der Großmutter mütterlicherseits, meine ich. Aber ganz sicher bin ich nicht. Es ist ja so lange her. Karsten war verrückt. Ich habe mir alle Mühe gegeben, den Typen

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