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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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schauderte, und er fing an, seine Unterlagen zu sortieren.
    Sigmund Berli kam ins Zimmer gestürzt.
    Yngvar schaute auf und runzelte die Stirn.
    »Immer langsam«, sagte er trocken, pochte mit dem Zeigefinger auf den Tisch und nickte zur Tür hinüber. »Haben wir unsere guten Manieren ganz vergessen?«
    »Der Unfall«, keuchte Sigmund Berli. »Laffen Sørnes ist tot, das weißt du sicher schon. Aber der andere …«
    Er rang nach Luft und stützte die Handflächen auf seine Knie.
    »Der andere … der Mann in dem anderen Wagen …«
    »Setz dich, Sigmund.«
    Yngvar zeigte auf den Besuchersessel.
    »Zum Henker, der andere war doch tatsächlich … Karsten Åsli!«
    Ihm war, als habe es in seinem Gehirn einen Kurzschluß gegeben. Alles stand still. Yngvar versuchte, wieder klar zu sehen, doch seine Augen hingen an Sigmunds Brustkasten fest. Er hatte seinen Schlips zwischen zwei Hemdknöpfe geschoben. Es war ein schrecklich roter Schlips mit Vögeln. Der Schwanz einer gelben Gans lugte aus dem Spalt über seiner Brust hervor. Yngvar wußte nicht einmal, ob er noch immer atmete.
    »Hast du das gehört?« brüllte Sigmund. »Karsten Åsli ist mit Laffen zusammengestoßen! Wenn du recht hast, dann bedeutet das, daß Emilie …«
    »Emilie«, wiederholte Yngvar, seine Stimme versagte, er versuchte sich zu räuspern.
    »Karsten Åsli liegt ebenfalls im Sterben! Wie zum Teufel sollen wir Emilie finden, wenn du recht hast, Yngvar? Wenn Karsten Åsli sie versteckt hat und beschließt, den Löffel abzugeben?«
    Yngvar erhob sich langsam. Er mußte sich auf die Tischkante stützen. Er mußte nachdenken. Mußte sich konzentrieren.
    »Sigmund«, sagte er, jetzt lauter. »Fahr ins Krankenhaus. Gib dir alle Mühe, den Mann zum Reden zu bringen. Wenn das geht!«
    »Der ist doch bewußtlos, du Idiot!«
    Yngvar richtete sich auf.
    »Das ist mir klar«, sagte er langsam. »Deshalb mußt du dort sein. Für den Fall, daß er aufwacht.«
    »Und du? Was machst du inzwischen?«
    »Ich fahre nach Snaubu.«
    »Aber du hast doch nicht mehr Material gegen den Typen als gestern, Yngvar! Und auch wenn Karsten Åsli schwer verletzt ist, kannst du nicht einfach ohne Erlaubnis sein Haus aufbrechen.«
    Yngvar zog seine Jacke an und warf einen Blick auf die Uhr.
    »Darauf scheiße ich«, sagte er ruhig. »Im Moment ist mir das einfach scheißegal.«

66
    Aksel Seier staunte, wie sehr er sich in Evas kleinem Zimmer zu Hause fühlte. Die Wände waren in warmem Gelb gehalten, und obwohl das Bett aus Metall war und das Bettzeug den Aufdruck »Gemeinde Oslo« trug, war es eben doch Evas Zimmer. Er erkannte einige ihrer Habseligkeiten, die er schon damals in ihrem Zimmer in der Brugate gesehen hatte, als sie an jenem Abend des Jahres 1965 die Wunde in seinem Hinterkopf mit Jod gereinigt hatte. Den Porzellanengel mit den ausgebreiteten Flügeln, blaßblau und mit Resten von Vergoldung, hatte sie zur Konfirmation bekommen. Ihm fiel ein, wie er einmal mit den Fingern über diese kühle Figur gefahren war. Das Gemälde, das die Insel Hovedøya im Sonnenuntergang zeigte, hatte er ihr geschenkt. Jetzt hing es über dem Bett, mit matteren Farben als damals, als er beim Trödelhändler fünfzehn Kronen auf den Tisch gelegt und dafür das Bild erhalten hatte, in Packpapier gewickelt und mit Bindfaden verschnürt.
    Eva wirkte ebenfalls verblaßt.
    Aber sie war immer noch seine Eva.
    Ihre Hand war alt und von ihrer Krankheit zerstört. Ihr Gesicht wirkte verbraucht, sein Ausdruck war von den Schmerzen geprägt, die sich niemals ganz legten. Ihr Körper war nur eine unbewegliche Schale, die eine Frau umgab, die Aksel Seier noch immer liebte. Er sagte nicht viel. Eva brauchte Zeit, um ihre Geschichte zu erzählen. Ab und zu mußte sie eine Ruhepause einlegen. Aksel schwieg und hörte zu.
    In diesem Zimmer fühlte er sich zu Hause.
    »Er hat sich so verändert«, sagte Eva leise. »Alles schien für ihn zu zerbrechen. Er hatte kein Geld, um der Sache nachzugehen. Wenn er den Rest von Mutters Erbe darauf verwendet hätte, dann hätte er keine Wohnung mehr gehabt. Und dann wäre die Sache ohnehin aussichtslos gewesen. Das hat ihn kaputtgemacht, Aksel. In den letzten Monaten hat er mich nicht einmal besucht.«
    Alles werde schon in Ordnung kommen, meinte Aksel. Er zog seine Karten hervor. Platin, erklärte er und hielt ihr das blanke Plastikstück vor die Augen. Solche Karten bekamen nur wohlhabende Leute. Er war wohlhabend. Er würde die Sache in Ordnung bringen.
    Alles

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