In kalter Absicht
zum Ministerialrat befördert worden.«
»Das ist mir bekannt.«
»Sein Freund, Abteilungsleiter Einar Danielsberg, hatte ihn aufgesucht. Sich nach dem Fall Hedvig und nach Aksel Seier erkundigt. Es waren neue Hinweise aufgetaucht, die bedeuten konnten …«
Jetzt schlug sie die Hände vors Gesicht. Ihr Ehering, schmal und abgenutzt, war an ihrem rechten Ringfinger festgewachsen. Er war in einer Hautfalte fast verschwunden.
»Astor sagte nur, für alles sei gesorgt«, flüsterte sie. »Ich brauchte keine Angst zu haben.«
»Keine Angst?«
»Mehr hat er nicht gesagt. Ich weiß nicht, was passiert ist.«
Plötzlich hob sie wieder das Gesicht.
»Astor war ein rechtschaffener Mensch. Der redlichste Mann, der mir je begegnet ist. Trotzdem hat er einen Mann unschuldig ins Gefängnis gehen lassen. Das hat mir etwas gesagt. Es hat mich gelehrt …«
Sie holte tief Luft, keuchte fast.
»Wir tun alles für das, was uns gehört. So sind wir nun einmal, wir Menschen. Wir behüten das, was uns gehört.«
Dann erhob sie sich, eine sehr alte Frau, schwer und mühsam. Ihre Haare hatten sich von den japanischen Stäbchen befreit. Ihre Augen waren geschwollen.
»Aber Sie wissen jetzt, daß ich nichts beweisen konnte.«
Ihre Tasche schien im Laufe des Nachmittags zu schwer geworden zu sein. Sie versuchte, sie über die Schulter zu hängen, aber sie glitt wieder hinab. Am Ende packte sie sie mit beiden Händen und versuchte, gerade zu stehen.
»Damit habe ich mich getröstet, lange. Ich konnte doch nichts sicher wissen. Die Jungen schwiegen verbissen. Der Pullover war verbrannt worden, dafür hatte Astor gesorgt. Nach Asbjørns Tod las ich zum ersten Mal seine Bücher. In Sündenfall, 14. November fand ich dann endlich die Gewißheit.«
Ich verstehe, daß du deinen Mann beschützt hast, dachte Inger Johanne und suchte nach Worten, die nicht kränkend wirken würden.
Aber jetzt läßt du deinen Sohn im Stich. Du lieferst ihn mir aus. Nach all diesen Jahren, deinen eigenen Sohn. Warum?
» Geir hatte mehr als vierzig Jahre Freiheit«, sagte Unni Kongsbakken mit tonloser Stimme. »Er hat vierzig Jahre bekommen, die ihm nicht gehörten. Ich glaube, er hat … ich nehme an, daß er danach nichts mehr verbrochen hat.«
Sie lächelte beschämt, als glaube sie das selbst nicht so ganz.
»Ich konnte es bisher nicht erzählen. Astor hätte … Astor hätte das nicht überlebt. Das mit Asbjørn war schlimm genug. Mit diesen entsetzlichen Büchern, den Skandalen, dem Selbstmord.«
Sie seufzte kraftlos.
»Danke, daß Sie sich die Zeit genommen haben, mir zuzuhören. Sie müssen selbst wissen, was Sie aus meiner Geschichte machen. Ich habe getan, was ich konnte. Zu spät, natürlich, aber trotzdem … Was mit Geir passieren soll, müssen Sie entscheiden. Vermutlich können Sie gar nichts ändern. Er wird natürlich alles leugnen. Und da sich nichts beweisen läßt … Aber es kann diesem … diesem Aksel Seier vielleicht helfen. Zu wissen, was passiert ist, meine ich. Adieu.«
Als Inger Johanne den gebeugten Rücken durch die Türen des Grand Café verschwinden sah, hatte sie das Gefühl, daß sogar die Farben der Jacke verblichen waren. Die alte Dame schien kaum die Füße heben zu können. Durch das Fenster konnte Inger Johanne sehen, daß jemand ihr in ein Taxi half. Eine Haarbürste fiel aus der Tasche, als die Tür ins Schloß fiel; Inger Johanne blieb sitzen und starrte noch lange hinter dem Auto her, bis Unni Kongsbakken nicht mehr zu sehen war.
Die Bürste war voller Haare. Inger Johanne staunte darüber, wie deutlich sie die sehen konnte, sogar aus dieser Entfernung. Sie waren grau und erinnerten sie an Aksel Seier.
65
Yngvar Stubø saß allein in seinem Büro und versuchte, ein taktloses Gefühl der Erleichterung zu verdrängen.
Laffen Sørnes war so gestorben, wie er gelebt hatte, auf der Flucht vor einer Gesellschaft, die ihn verachtete. Das war tragisch. Yngvar konnte trotzdem seine Befriedigung nicht verdrängen. Jetzt, wo Laffen Sørnes aus dem Spiel war, würde er vielleicht noch andere dazu bringen können, sich auf den wirklichen Sünder zu konzentrieren, die wirkliche Jagd. Bei diesem Gedanken atmete Yngvar leichter. Er fühlte sich stärker, energiegeladener als seit Tagen.
Er hatte den Fernseher schon längst ausgeschaltet. Es war einfach widerlich, wie die Presseleute im Blutnebel umherschwirrten, ohne wirklich an die Tragödie zu denken, die sich eben erst vor laufenden Kameras abgespielt hatte. Ihm
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