In kalter Absicht
gesagt?«
»Nichts.«
»Nichts?«
»Nein.«
»Aber … Hat er zugegeben …«
»Er hatte nichts zuzugeben, wie sich dann später herausstellte.«
»Ich fürchte, jetzt kann ich nicht …«
»Ich lehnte also hilflos an der Wand. Asbjørn schrieb und schrieb. Ich weiß bis heute nicht, wie lange diese Szene dauerte. Es kann eine halbe Stunde gewesen sein. Ich hatte das Gefühl … alles zu verlieren. Möglicherweise habe ich ihn noch einmal gefragt. Er sagte jedenfalls nichts. Er schrieb und schrieb und behandelte mich wie Luft. Als ob …«
Jetzt weinte sie wirklich. Die Tränen strömten aus beiden Augen, und sie zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel.
»Dann kam Geir. Ich hatte ihn nicht gehört. Plötzlich stand er neben mir, einfach so, und starrte den Pullover an, der auf den Boden gefallen war. Er fing an zu weinen. Das wollte ich nicht. Das wollte ich nicht. Genauso sagte er das. Er war achtzehn Jahre alt und weinte wie ein Kind. Asbjørn sprang auf und machte sich über seinen Bruder her. Halt die Fresse! schrie er, wieder und wieder.«
»Geir? Geir hat gesagt, er habe nicht …«
»Ja«, sagte Unni Kongsbakken und straffte die Schultern; sie drückte sich vorsichtig das Taschentuch gegen die Augen, dann ließ sie es wieder in ihrem Ärmel verschwinden. »Aber mehr konnte er nicht sagen. Asbjørn schlug ihn ganz einfach bewußtlos.«
»Aber bedeutet das … ich verstehe nicht ganz, was …«
»Asbjørn war der liebste Mensch, den Sie sich vorstellen können«, sagte Unni Kongsbakken jetzt ruhiger, sie atmete gleichmäßig und weinte nicht mehr. »Asbjørn war ein liebevoller Junge. Alles, was er später geschrieben hat, dieses Schreckliche, dieses Anstößige … die Blasphemie, die Pornographie. Das waren nur Worte. Er schrieb einfach nur, unser Asbjørn. In Wirklichkeit war er herzensgut. Und er liebte seinen Bruder sehr.«
Eine Sperre in ihrem Hals, gleich unter dem Kehlkopf, zwang Inger Johanne zu schlucken. Das war schwer. Sie wollte etwas sagen, egal was. Sie hatte keine Ahnung, was.
»Geir hat die kleine Hedvig umgebracht«, sagte Unni Kongsbakken. »Da bin ich mir ziemlich sicher.«
Die Rettungsmannschaften brauchten mehr als eine Dreiviertelstunde, um den Mann aus dem Wrack des blauen Opels zu befreien. Sein Oberschenkel war in der Mitte abgerissen. Sein linker Augapfel war zerquetscht; ein blutiger Klumpen hatte sich aus seiner Augenhöhle gelöst und hing schlaff über seine Wange hinab. Das Lenkrad lag hundert Meter weiter, am Fuße einer Tanne, und die Lenkradsäule hatte sich tief in den Bauch des Mannes gebohrt.
»Er lebt noch«, keuchte ein Sanitäter. »Teufel auch, der lebt noch!«
Eine knappe Stunde später lag der Fahrer des blauen Opels auf dem Operationstisch. Es sah nicht gerade gut für ihn aus, aber noch immer bestand Hoffnung.
Laffen Sørnes dagegen starrte blind gen Himmel, während sein Körper aus dem Seitenfenster eines gestohlenen Mazda 323 hing. Ein unerfahrener Polizist beugte sich über einen Bach und weinte hemmungslos. Noch immer schwirrten drei Hubschrauber über der Unglücksstätte, und nur einer davon gehörte der Polizei.
TV 2 brach gerade alle bei einer Nachmittagssendung jemals erreichten Zuschauerrekorde.
Vor den großen Fenstern des Grand Café liefen Menschen vorbei. Einige hatten es eilig. Andere schlenderten vorüber, ziellos vielleicht; sie hatten alle Zeit der Welt, und Inger Johanne folgte ihnen mit den Augen. Sie versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Unni Kongsbakken hatte um Entschuldigung gebeten und ohne weitere Erklärungen den Tisch verlassen. Ihre Tasche, eine große braune Ledertasche mit Metallbeschlägen, lag noch dort. Vermutlich war sie nur zur Toilette gegangen.
Inger Johanne fühlte sich wie gerädert.
Sie versuchte, sich Geir Kongsbakken vor ihr inneres Auge zu rufen. Sein Gesicht entglitt ihr; obwohl sie ihm erst vor gut vierundzwanzig Stunden gegenübergesessen hatte, konnte sie sich nur daran erinnern, daß er langweilig ausgesehen hatte. Dick und schwer, wie beide Eltern. Sie sah seinen neutralen Anzug vor sich. Das Gesicht des Anwalts dagegen war nur eine unklare Kontur in ihrer Erinnerung.
Unni Kongsbakken kam zurück. Wortlos nahm sie Platz.
»Was meinen Sie damit, daß Sie sich ziemlich sicher sind«, fragte Inger Johanne.
»Was?«
»Sie haben gesagt … Sie haben gesagt, daß Sie sich ziemlich sicher sind, daß … daß Geir Hedvig umgebracht hat. Warum nur ziemlich sicher?«
»Wissen kann ich es doch
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