In kalter Absicht
nicht«, antwortete Unni Kongsbakken trocken. »Nicht in juristischem Sinne zumindest. Er hat nie irgend etwas zugegeben.«
»Aber …«
»Lassen Sie mich weitererzählen.«
Sie hob ihre Tasse. Die war leer. Inger Johanne winkte dem Kellner. Der wurde nun langsam sauer, er brachte erst Milch, als Unni Kongsbakken zweimal darum gebeten hatte.
»Geir war also bewußtlos«, sagte sie endlich. »Und Asbjørn war stumm wie ein Fisch. Geir brauchte eine oder zwei Minuten, um wieder zu sich zu kommen. Und danach war er so stumm wie sein Bruder. Ich holte Astor. Wie ich schon gesagt habe, saß er in seinem Arbeitszimmer, es war ziemlich spät.«
Wieder sah sie abwesend aus, als versuchte sie, die Zeit zurückzudrehen.
»Astor war wütend. Zuerst natürlich über die Störung. Dann über das, was ich erzählte. Das sei doch der pure Wahnsinn, brüllte er. Unfug! Hirngespinste, schrie er mich an. Er befahl den Jungen, sich aufs Sofa zu setzen, und bombardierte sie mit Fragen. Keiner sagte auch nur ein Wort. Sie … sie antworteten ganz einfach nicht. Auf keine Frage. Für mich war das Antwort genug. Obwohl Asbjørn ein Aufrührer war, hatte er seinem Vater immer eine Art Respekt entgegengebracht. Ich hatte ihn nie so gesehen wie jetzt. Der Junge schaute seinem Vater frech in die Augen und schwieg. Geir starrte seine Knie an. Auch er schwieg, selbst dann, als Astor ihm eine schallende Ohrfeige verpaßte. Am Ende gab Astor auf. Er schickte sie ins Bett. Es war lange nach Mitternacht. Er zitterte, als er sich in der Dunkelheit neben mich legte. Ich sagte ihm, was ich glaubte. Daß Geir Hedvig ermordet und Asbjørn zu Hilfe geholt hatte, um sich von dem … Leichnam zu befreien. Wir hatten nur ein Telefon, und das stand vor Asbjørns Zimmer. Geir hätte nachts anrufen können, ungehört von uns. Das sagte ich. Astor gab keine Antwort, er weinte nur leise. Am Ende sagte er, ich hätte mich geirrt. Es sei einfach nicht möglich. Aksel Seier habe Hedvig umgebracht, so sei es eben. Er kehrte mir den Rücken zu und sagte nichts mehr. Ich ließ nicht locker. Ich ging alles noch einmal durch. Den blutigen Pullover. Das seltsame Verhalten der Jungen. An dem Abend, an dem Hedvig verschwunden war, hatte Geir in Oslo ein Treffen der Jungsozialisten besucht. Asbjørn war zu Hause. In den Morgenstunden hörte ich … Aber das habe ich ja schon erzählt. Verzeihen Sie. Ich wiederhole mich. Auf jeden Fall, Astor wollte nicht hören. Als endlich der Morgen kam, stand er auf. Er duschte, zog sich an, ging zur Arbeit. Den Zeitungen zufolge hat er ein flammendes Plädoyer gehalten. Als er nach Hause kam, aßen wir schweigend zu Abend. Alle vier.«
Unni Kongsbakken schlug leicht mit der Handfläche auf den Tisch, wie um einen Schlußpunkt zu setzen.
»Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll«, sagte Inger Johanne.
»Strenggenommen brauchen Sie gar nicht viel zu sagen.«
»Aber Anders Mohaug, der hatte doch …«
»Auch Anders hatte sich verändert. Mir war das vorher nicht aufgefallen, der Junge war doch ohnehin so seltsam. Aber jetzt, nach diesem Abend, merkte ich, daß er stiller geworden war. Zurückhaltender. Ängstlicher gewissermaßen. Es war nicht schwer zu begreifen, daß Asbjørn Anders mitgenommen hatte. Der war ein sehr kräftiger Junge, wissen Sie. Stark, dieser Anders. Ich habe einmal versucht, mit Frau Mohaug zu sprechen. Sie war wie ein verängstigtes Tier. Wollte nicht reden.«
Wieder liefen Unni Kongsbakkens Augen über. Die Tränen folgten einer Falte, die sich an der Nase entlangzog, sie leckte sich kurz die Oberlippe.
»Sie glaubte wohl, Anders habe diese Untat allein begangen«, sagte sie leise. »Ich hätte mich nicht so leicht geschlagen geben dürfen. Ich hätte … Frau Mohaug war nach diesem Winter nie mehr sie selbst.«
»Nach Anders’ Tod«, sagte Inger Johanne, doch wieder wurde sie unterbrochen.
»Astor und ich hatten seit der schrecklichen Nacht nie mehr über Hedvig gesprochen. Dieser ganze grauenhafte Tag schien weggeschlossen worden zu sein, für immer versteckt, ich … und im Laufe der Zeit schien das alles fast zu verschwinden. Geir wurde Jurist, wie sein Vater. Er versuchte, sich in allem an Astor zu orientieren, aber das gelang ihm nie. Asbjørn schrieb seine Bücher. Mit anderen Worten, wir hatten genug andere Sorgen.«
Sie seufzte tief, ihre Stimme zitterte, als sie weitersprach:
»Eines Tages, das muß im Sommer gewesen sein, 1965, kam Astor aus dem Büro … ja, inzwischen war er
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