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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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verstummte. »Das weißt du natürlich alles«, fügte sie leise hinzu.
    Alvhild nickte und lächelte.
    »Ich will im Grunde zwei Dingen auf den Grund gehen«, fuhr Inger Johanne fort. »Zum einen: Haben die Fälle, die große Aufmerksamkeit erregen, etwas Besonderes? Ist bei ihnen die Beweislage vielleicht außergewöhnlich schwach? Oder entscheiden die persönlichen Eigenschaften der Angeklagten und späteren Verurteilten, ob ein Fall auch andere fesselt? Spielt es eine Rolle, wie die Medien über Ermittlungen und Verhandlung berichten? Mit anderen Worten: Wie zufällig ist es, ob ein Fall in dem Moment stirbt, in dem das Urteil gesprochen wird, oder ob er danach noch jahrelang weiterlebt?«
    Sie merkte, daß sie die Stimme gehoben hatte.
    »Als nächstes«, sagte sie dann wieder leiser, »als nächstes möchte ich sehen, was passiert, wenn ein Fall am Leben erhalten wird. Torgersen zum Beispiel hat, rein sachlich und zynisch betrachtet, an der vielen Unterstützung, die ihm zuteil geworden ist, nicht nur Freude gehabt. Ich verstehe natürlich …«
    Inger Johanne registrierte das gespannte Interesse in Alvhilds Gesicht. Die alte Dame schien alle ihre Kräfte zu mobilisieren, sie hielt sich so gerade wie eine Gouvernante, sie zuckte kaum mit der Wimper.
    Inger Johanne sagte: »Ich verstehe natürlich, daß es rein menschlich von ungeheurer Bedeutung sein muß, daß jemand draußen in der Gesellschaft an dich glaubt …«
    »Jedenfalls, wenn du wirklich unschuldig bist«, fiel Alvhild ihr ins Wort. »Und im Fall Torgersen wissen wir das doch nicht.«
    »Das ist natürlich ein wichtiger Aspekt. Im großen Zusammenhang, meine ich. Aber nicht für meine Untersuchungen. Ich will die konkreten Resultate dieses Engagements Außenstehender untersuchen.«
    »Phantastisch«, sagte Alvhild ziemlich vage; Inger Johanne wußte nicht so recht, worauf sie anspielte.
    »Hast du dir das nicht auch schon einmal überlegt«, sagte sie nachdenklich, um das Schweigen zu brechen. »Ich meine, ist es nicht höchst seltsam, daß Aksel Seiers Fall nach der Urteilsverkündung einfach tot war, obwohl mehrere Zeitungen kritisch über die Ermittlungen berichtet hatten? Warum haben sie das nicht weiter verfolgt? Lag es am Mann selbst, an einem unangenehmen Zug in seiner Persönlichkeit? Wollte er selbst mit möglicherweise interessierten Journalisten nicht zusammenarbeiten? Ist Aksel Seier im Grunde ein … Mistkerl? Der es sozusagen nicht besser verdient hat? Es wäre sehr wichtig für mich, mit ihm sprechen zu können.«
    Die Tür wurde ganz leise geöffnet.
    »Wie geht’s denn«, fragte die Krankenschwester und fügte hinzu, ohne die Antwort abzuwarten: »Sie sitzen jetzt schon zu lange in diesem Sessel, Frau Sofienberg. Jetzt werden wir Sie ins Bett stecken. Ich muß Ihre Freundin also bitten …«
    »Das kann ich auch selbst, danke.«
    Alvhilds Mund war jetzt wieder schmal, und sie hob abwehrend die Hand in Richtung der Frau in Weiß.
    »Wäre es nicht besser, ihm erst mal zu schreiben?«
    Inger Johanne Vik stand auf und schob einen unbenutzten Notizblock in ihre Handtasche.
    »In bestimmten Situationen schreibe ich vorher nie«, sagte sie langsam und hängte sich die Tasche über die Schulter.
    »Und die wären?«
    Die Krankenschwester hatte das Bett aufgeschlagen und schob die monströse Metallkonstruktion jetzt mitten ins Zimmer.
    »Wenn ich fürchte, daß keine Antwort kommt«, sagte Inger Johanne. »Keine Antwort ist auch eine Antwort. Keine Antwort bedeutet ›nein‹. Und das will ich nicht riskieren. Nicht von Aksel Seier. Ich fliege am Montag. Ich …«
    Die Krankenschwester sah sie auffordernd an.
    »Ja, ja«, murmelte Inger Johanne. »Ich gehe ja schon. Vielleicht rufe ich an, Alvhild. Aus Amerika. Wenn es etwas zu erzählen gibt, meine ich. Und bis dahin mach … du es so gut wie möglich.«
    Ohne darüber nachzudenken, beugte sie sich über die alte Dame und küßte sie behutsam auf die Wange. Alvhilds Haut war trocken und kalt. Als Inger Johanne das Haus verlassen hatte, feuchtete sie sich vorsichtig mit der Zunge die Lippen an. Sie schmeckten nach nichts, sie waren nur trocken.

14
    Emilie hatte ein Geschenk bekommen. Eine Barbiepuppe mit Haaren, die in dem kleinen Kopf aufbewahrt lagen und die man ganz lang herausziehen konnte, und wenn man im Nacken an einem Schlüssel drehte, verschwanden die Haare wieder im Kopf. Die Puppe hatte schöne Kleider, ein rosa Kleid mit Pailletten, das neben ihr in der Packung gelegen

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