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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Türöffnung, bei der kalten Tür. Er hatte Angst, daß die zufallen könnte. So war es fast immer. Er kam nur selten ins Zimmer. Emilie ließ die Arme langsam auf die Matratze sinken. Atmen. Ein und aus. Die Augen öffnen. Das Funkeln traf sie. Sie machte noch einen Versuch. Sie war nicht mehr blind. Als sie ihr Gesicht der Stimme zukehrte, sah sie, daß der Mann sich feingemacht hatte.
    »Du siehst toll aus«, sagte sie leise. »Klasse Jacke.«
    Der Mann lächelte.
    »Findest du? Ich muß verreisen. Du bleibst jetzt ein Weilchen allein.«
    »Die Hose ist auch schön.«
    »Du kannst doch gut allein sein. Ich stelle dir ganz viel Wasser und Brot und Marmelade und Cornflakes hier hin.«
    Er stellte zwei Tüten hin.
    »Du mußt ohne Milch auskommen. Die wird nur sauer.«
    »Mmm.«
    »Wenn du brav bist und keinen Ärger machst, während ich weg bin, darfst du demnächst mal abends mit mir fernsehen. Irgendeinen schönen Film. Am Samstag vielleicht. Aber nur vielleicht. Kommt darauf an, wie du dich benimmst. Soll das Licht an oder aus sein?«
    »An«, sagte sie blitzschnell. »Bitte.«
    Er hatte ein komisches Lachen. Es schien einem kleinen Jungen zu gehören, der nicht so recht wußte, worüber er lachte. Er schien sich die ganze Zeit zum Lachen zu zwingen, ohne irgend etwas komisch zu finden. Laut und hart lachte er.
    »Hatte ich mir schon gedacht«, sagte er kurz und ging.
    Emilie versuchte sich aufzusetzen. Der Mann durfte die Luftmaschine nicht abschalten, auch wenn er verreiste. Sie fühlte sich so schwach und kippte seitwärts wieder ins Bett.
    »Nicht die Luftmaschine abschalten«, weinte sie. »Bitte! Nicht die Luftmaschine abschalten!«
    Wenn sie nur gewußt hätte, welcher Nagelkopf eine Kamera war, dann hätte sie die Hände gefaltet. Statt dessen preßte sie den Mund auf einen kleinen Flecken an der Wand, gleich über dem Bett.
    »Bitte«, flehte sie den Punkt an, der vielleicht ein Mikrofon war. »Bitte, gib mir Luft. Ich bin auch das bravste Mädchen auf der ganzen Welt, aber bitte, dreh nicht die Luft ab!«

30
    Die Zeitungen hatten schon zwei Sonderausgaben herausgebracht, seit gegen zwei Uhr in der Nacht zum Samstag, dem 27.   Mai, die ersten Boulevardblätter ausgeliefert worden waren. Die Schlagzeilen schrien Inger Johanne Vik entgegen, als sie zur Tankstelle hinüberschaute, bevor sie bei dem Supermarkt neben dem Ullevaal Stadion vorfuhr. Es war schwer, einen Parkplatz zu finden. Der Supermarkt war immer gut besucht, vor allem samstags, aber an diesem Tag herrschte das pure Chaos. Die Leute schienen einfach nicht zu wissen, was sie tun sollten. Zu Hause wollten sie offenbar nicht sein. Sie mußten unter Menschen. Sie suchten die Gesellschaft anderer, die ebenso verängstigt waren, ebenso wütend. Mütter hielten ihre Kinder fest an der Hand, die Kleinsten saßen angeschnallt in ihren Karren. Väter trugen größere Kinder sicherheitshalber auf der Schulter. Die Menschen standen in Gruppen zusammen und redeten, mit Bekannten und Unbekannten. Alle hatten Zeitungen. Einige hatten Ohrstöpsel und hörten sich Nachrichten an, es war Punkt zwölf. Sie starrten konzentriert vor sich hin und wiederholten langsam für die Umstehenden:
    »Die Polizei hat noch immer keine Spur.«
    Dann seufzten sie alle. Ein gemeinsames resigniertes Stöhnen wanderte über den Parkplatz.
    Inger Johanne drängte sich durch die Menschenmenge. Sie war zum Einkaufen hergekommen. Ihr Kühlschrank war leer nach der Reise. Sie hatte schlecht geschlafen und ärgerte sich über die Kinderwagen, die die riesigen automatischen Türen blockierten. Ihre Einkaufsliste fiel zu Boden. Sie blieb an der Schuhsohle eines Vorübergehenden hängen und war verschwunden.
    »Verzeihung«, sagte sie und erstritt sich einen freien Einkaufswagen.
    Sie brauchte auf jeden Fall Bananen, Müsli und Brot und Aufschnitt. Abendessen für diesen Tag, was kein Problem war, denn sie war ja allein, und für morgen, denn dann würde Isak Kristiane bringen. Frikadellen. Zuerst die Bananen.
    »Hallo.«
    Sie wurde nur selten rot. Jetzt spürte sie die Wärme in ihren Wangen. Vor ihr stand Yngvar Stubø, mit einem Bündel Bananen in der Hand. Immer lächelt er, dachte sie, jetzt dürfte er nicht lächeln. Er hat doch bestimmt nicht viel, worüber er sich freuen kann.
    »Sie haben nicht zurückgerufen«, sagte er.
    »Woher haben Sie gewußt, wo ich war? In welchem Hotel?«
    »Ich bin Polizist. Ich habe eine Stunde gebraucht, um das festzustellen. Sie haben ein Kind. Sie

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