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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Der Unterschied kann also nicht riesig sein.«
    »Glaubst du, es besteht ein Zusammenhang zwischen der Tatsache, daß Emilies Mutter tot ist, und der, daß die Kleine noch immer verschwunden ist?«
    Yngvar seufzte tief und erhob sich. Er schaute die Zettel auf dem Boden an und begann, Tassen und Kaffeekanne wegzuräumen.
    »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat Emilie in diesem Fall gar nichts zu suchen. Das meine ich wirklich, Inger Johanne. Ich kann nicht mehr klar denken.«
    »Ich glaube, es geht ihm im Moment sehr schlecht«, sagte sie vage. »Ich glaube, er hat in Tromsø einen Fehler gemacht. Dieses Kind sollte genau wie alle anderen ums Leben kommen. Auf rätselhafte Weise. Er hat sich irgendeine nicht nachvollziehbare Tötungsart ausgedacht, die …«
    »… keine Spuren hinterläßt«, fügte er düster hinzu. »Die unserem ganzen Heer von angeblichen Fachleuten nur ein Schulterzucken entlockt. Tut uns leid, sagen sie. Keine bekannte Todesursache.«
    Inger Johanne kniete mit geschlossenen Augen auf dem Boden.
    »Er wollte Glenn Hugo nicht ersticken«, sagte sie leise. »So sollte es nicht passieren. Er freut sich über die Kontrolle, die er im Moment über alles und alle ausübt. Er spielt ein Spiel. Auf irgendeine Weise hat er das Gefühl, daß er … eine Ordnung wiederherstellt. In Tromsø hat er Angst bekommen. Die Kontrolle verloren. Und jetzt ist er verstört. Vielleicht wird ihn das unvorsichtig machen.«
    »Eine Bestie«, sagte Yngvar verbissen. »Eine verdammte Bestie.«
    »Nicht in seinen eigenen Augen«, sagte Inger Johanne, die noch immer kniete und ihren Hintern auf den Fersen ruhen ließ. »Er ist ein relativ angepaßter Mensch, oder wirkt zumindest so. Vermutlich nicht vorbestraft. Kontrolle ist ihm ungeheuer wichtig. Er ist peinlich ordentlich. Pedantisch. Sauber. Was er jetzt tut, tut er, weil es richtig ist. Er hat etwas verloren. Er hat etwas überaus Wichtiges verloren, worauf er seiner Ansicht nach ein Anrecht hatte. Wir suchen einen Menschen, der glaubt, jedes Recht auf dieses Vorgehen zu haben. Die Welt hat sich gegen ihn verschworen. An allem, was in seinem Leben schiefgegangen ist, sind andere schuld. Er hat die Jobs nicht bekommen, die ihm zugestanden hätten. Sollte er beim Examen durchgefallen sein, dann nur, weil die Aufgaben mißverständlich formuliert waren. Wenn er zu wenig verdient, dann nur, weil der Chef ein Idiot ist, der seine Arbeit nicht zu schätzen weiß. Aber er wird damit fertig. Nimmt all das in Kauf, die Frauen, die ihn verschmähen, die Beförderung, die sich nicht einstellt. Bis eines Tages …«
    »Inger Johanne …«
    »Bis eines Tages etwas passiert, das …«
    »Inger Johanne! Hör jetzt auf!«
    »Bis er nicht mehr kann. Bis er die Ungerechtigkeit nicht mehr erträgt. Bis der Moment der Rache gekommen ist.«
    »Ich meine das wirklich! Hör auf! Das ist doch pure Spekulation!«
    Ihre Beine waren eingeschlafen, und sie schnitt eine Grimasse, als sie sich an der Tischkante festhalten mußte, um aufstehen zu können.
    »Kann schon sein. Aber du hast mich doch schließlich um Hilfe gebeten.«
    »Hier stinkt’s!«
    Kristiane hielt sich die Nase zu. Unter ihrem Arm klemmte Sulamit. Der König von Amerika leckte ihr das Gesicht ab.
    »Hallo, mein Schatz. Guten Morgen. Wir lassen gleich frische Luft rein!«
    »Der Mann stinkt.«
    »Ich weiß!«
    Yngvar rang sich ein Lächeln ab.
    »Und jetzt gehe ich zum Duschen nach Hause. Vielen Dank, Inger Johanne.«
    Kristiane stapfte in ihr Zimmer zurück, der Hund lief schwanzwedelnd hinterdrein.
    Yngvar Stubø zog sein Jackett an und versuchte dabei beschämt, die Schweißflecken unter seinen Armen zu verbergen. Als er die Wohnungstür erreicht hatte, schien er Inger Johanne umarmen zu wollen. Doch dann hielt er ihr lieber die Hand hin. Sie war überraschend warm und trocken. Ihre Handfläche brannte nach der Berührung, noch lange nachdem er hinter dem roten Haus an der Straßenecke verschwunden war. Inger Johanne registrierte, daß die Fenster geputzt werden mußten, überall auf dem Glas hatte das Klebeband seine Spuren hinterlassen. Außerdem mußte sie sich ein Pflaster auf ihren kleinen Zeh kleben. Obwohl sie ihn kaum gespürt hatte, seit sie ihn fünf Stunden zuvor auf dem Weg zur Tür gegen die Schwelle geknallt hatte, war der Zeh geschwollen, und der Nagel hatte sich fast abgelöst. Eigentlich tat es ziemlich weh.
    »Jack hat gekackt«, rief Kristiane triumphierend aus dem Wohnzimmer.

35
    Obwohl Aksel Seier

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