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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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einer Zeitschrift, die neben der Küchentür auf einem Beistelltisch lag. Er schaute sich das Bild an und merkte, wie sein Hals sich zusammenschnürte, ehe er sich dazu zwang, die Zeitschrift zurückzulegen, ohne sie in Fetzen zu reißen. Einer der Kollegen aus Asker und Bærum sprach mit leiser Stimme in ein Handy. Als er das Gespräch beendet hatte, schüttelte er den Kopf.
    »Sie haben noch nicht mal das Auto gefunden. Von dem Kerl ganz zu schweigen. Und so wie das hier aussieht …«
    Er machte eine vage Handbewegung,
    »… habe ich keine große Lust, ins Schlafzimmer zu gehen.«
    Sechs Polizisten schauten sich um. Keiner sagte etwas. Vor dem Block passierte jetzt etwas. Sie hörten Autos anhalten. Rufe. Das Klappern von Absätzen über den Asphalt. Noch immer schwiegen sie alle. Der Polizist, der nicht ins Schlafzimmer gehen wollte, drückte sich Daumen und Zeigefinger gegen die Augen. Seine Grimasse veranlaßte seinen Nebenmann, ihm unbeholfen auf die Schultern zu klopfen. Es stank nach altem, ungewaschenem Sex. Es stank nach Sperma und dreckiger Kleidung. Ein Dunst von Sünde und perversen Heimlichkeiten. Yngvar sah zu Emilies Bild hinüber. Sie war noch immer ganz ernst; der Huflattich kitzelte ihre Stirn, und sie machte ein Gesicht, als wüßte sie alles.
    »Er ist es nicht«, sagte Yngvar.
    »Häh?«
    Die anderen schauten ihn an. Der Jüngste glotzte mit törichter Miene, seine Augen waren feucht.
    »Ich habe die mentalen Kapazitäten dieses Mannes falsch eingeschätzt«, gab Yngvar zu und räusperte sich heftig. »Offenbar kann er mit einem Computer umgehen. Er kann sich mit den Vertreibern dieses Drecks in Verbindung setzen …«
    Er unterbrach sich und versuchte eine passendere Bezeichnung zu finden; eine schlimmere, zutreffendere Bezeichnung für die Druckerzeugnisse, die überall in Stapeln und Haufen herumlagen.
    »… dieses Drecks«, wiederholte er dann resigniert. »Er hält sich auf dem laufenden. Und wir wissen mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit, daß er heute diesen Versuch im Kjelsåsvei unternommen hat. Sein Wagen. Der gebrochene Arm. Die Beschreibung paßt in allen Punkten. Aber er ist nicht … das hier ist nicht der Mann, der die anderen Kinder entführt und ermordet hat.«
    »Und das hast du so ganz allein herausgefunden.«
    Sigmund Berlis Gesichtsausdruck mochte andeuten, daß er Yngvar Stubø nicht mehr als Partner betrachtete. Er war auf dem Weg ins andere Lager. In das der Kollegen aus Bærum, die wußten, daß sie den Fall gelöst hatten. Wenn sie nur den Mann fanden, der zwischen Zeitungsausschnitten und Pornos und schmutziger Kleidung in dieser Wohnung hauste. Sie wußten, wer er war, und sie würden ihn sich holen.
    »Dieser Mann hat sich einmal schnappen lassen. Von zwei Amateuren! Heute wäre er um ein Haar noch einmal gefangen worden. Unser Mann, der Mann, den wir suchen, der Mann, der Kim und Glenn Hugo und Sarah umgebracht hat …«
    Yngvar ließ Emilies Bild nicht aus den Augen.
    »… und der Emilie vielleicht irgendwo gefangenhält … Er läßt sich nicht erwischen. Nicht auf diese Weise. Er versucht nicht, ein Kind aus einer Ausflugsgruppe heraus zu entführen, vor den Augen von vier Erwachsenen, am hellichten Tag, mit seinem eigenen Auto. Und einem dicken Gipsverband um den Arm. Das kann einfach nicht sein. Und ihr wißt das auch. Wir sind nur so darauf versessen, dieses Schwein zu erwischen, daß wir …«
    »Dann kannst du mir vielleicht erzählen, was das hier ist«, fiel Hermansen ihm ins Wort.
    Der Polizist triumphierte dabei nicht. Seine Stimme klang tonlos, fast resigniert. Er hatte einen Ordner aus einer Schublade gezogen. Der Ordner enthielt einen dünnen Stapel A4-Bögen. Yngvar Stubø wollte den Inhalt nicht sehen. Er konnte sich schon denken, daß er die gesamte Ermittlungsarbeit auf den Kopf stellen würde. Mehr als hundert Fahnder, die bisher von der Theorie ausgegangen waren, daß nichts Handfestes vorlag und alle Möglichkeiten offengehalten werden mußten – tüchtige Polizisten, die immerhin versucht hatten, sich nach allen Seiten umzusehen, und die wußten, daß jede gute Polizeiarbeit das Resultat einer geduldigen Systematik ist – würden jetzt allesamt in eine einzige Richtung gelenkt werden.
    Emilie, dachte er. Es geht hier um Emilie. Sie ist irgendwo. Sie lebt.
    » Verdammte Scheiße«, sagte der Jüngste.
    Sigmund Berli stieß einen Pfiff aus.
    Draußen hörten sie weitere Autos. Rufe und Wortwechsel. Yngvar ging zum Fenster und

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