In kalter Absicht
hatten wie immer zuviel mitgebracht.
»Das du natürlich nicht gelesen hast«, sagte Line.
»Ich auch nicht«, gestand Bente. »Ich hatte ganz einfach keine Zeit. Tut mir leid.«
»Ich auch nicht«, schloß Kristin sich an. »Wenn das Salz wirken soll, dann mußt du es in den Stoff einreiben. So!«
Sie beugte sich über den Tisch und bohrte den Finger in den Brei aus Mineralwasser und Salz.
»Warum bezeichnen wir das hier als Literaturgruppe?«
Line hielt anklagend das Buch hoch.
»… wenn außer mir keine etwas liest? Sagt mal, ändert sich etwas, wenn eine Kinder kriegt? Verliert eine dann die Lesefähigkeit?«
»Man verliert Zeit«, nuschelte Bente. »Zeit, Line. Die verschwindet.«
»Weißt du, das provoziert mich ja doch so ziemlich«, legte Line los. »Ihr redet immer davon wie vom Alleinseligmachenden … als brauchte man nur Kinder zu kriegen, um dann mit gutem Gewissen …«
»Kannst du nicht lieber etwas über das Buch erzählen«, bat Inger Johanne hastig. »Das interessiert mich. Wirklich. Als ich jünger war, habe ich alles von Asbjørn Revheim gelesen. Wollte mir sogar ein Exemplar kaufen von … wie heißt das?«
Sie griff nach dem Buch. Line riß es ihr aus der Hand.
» Revheim. Bericht über einen angekündigten Selbstmord«, las Halldis vor. »Außerdem hast du mich nicht gefragt. Ich habe es nämlich gelesen.«
»Groteschk«, nuschelte Bente. »Du hascht keine Kinder, Halldisch.«
»Passender Titel«, sagte Line, noch immer mit pikiertem Unterton. »Alles, was er geschrieben und getan hat, können wir doch deuten als … Todesdrang. Ja, als einen Hang zum Tod.«
»Klingt wie ein Kriminalroman«, sagte Kristin. »Sollen wir ganz einfach die Tischdecke wegnehmen?«
Bente hatte ihr Glas umgestoßen. Statt noch mehr Salz auf die Decke zu schütten, legte sie ungeschickt ihre Serviette über den roten Fleck. Das Glas lag noch immer da. Der rote Fleck wurde unter der Papierserviette immer größer.
»Scheiß drauf«, sagte Inger Johanne und hob ihr Glas. »Das macht doch nichts. Wann ist er eigentlich gestorben?«
»1983. Das weiß ich noch genau.«
»Mmm. Ich auch. Es war ja auch eine aufsehenerregende Art und Weise, sich das Leben zu nehmen.«
»Gelinde gesagt.«
»Lascht hören«, sagte Bente kleinlaut.
»Vielleicht solltest du einen Schluck Wasser trinken.«
Kristin holte aus der Küche mehr Mineralwasser. Bente kratzte an dem Fleck herum, den sie verursacht hatte. Line schenkte Wein nach. Halldis blätterte in dem Buch über Asbjørn Revheim.
Inger Johanne fühlte sich wohl.
Sie hatte kaum mehr geschafft, als mit dem Staubsauger durch die Wohnung zu eilen, Kristianes Spielzeug in den großen Kasten in ihrem Zimmer zu stopfen und das Badezimmer zu putzen. Für das Kochen hatte sie eine halbe Stunde Zeit gehabt. Und keine Lust. Natürlich hatte sie sich an die Verabredung gehalten. Die Mädels amüsierten sich. Sogar Bente lächelte glücklich unter ihren schweren Augenlidern. Inger Johanne konnte am nächsten Morgen später zur Arbeit gehen. Sie konnte zwei Stunden mit Kristiane herumpusseln und alles ruhig angehen lassen. Inger Johanne freute sich darüber, die Mädels zu sehen, und protestierte nicht, als Kristin ihr Glas noch einmal füllen wollte.
»Ich habe gehört, daß alle, die sich das Leben nehmen, eigentlich in einer akuten Psychose stecken.«
»Was für ein Unsinn«, sagte Halldis.
»Nein, das stimmt!«
»Daß du das gehört hast, ja. Aber der Rest stimmt nicht.«
»Was weißt du denn darüber?«
»Bei Asbjørn Revheim könnte es aber durchaus zutreffen«, sagte Inger Johanne. »Andererseits, der Typ hatte es doch schon mehrere Male versucht. Glaubt ihr, daß er dabei jedesmal psychotisch war?«
»Er war verrückt«, murmelte Bente. »Einfach knatschverrückt.«
»Das ist nicht dasselbe wie psychotisch«, wandte Kristin ein. »Ich kenne zwei Leute, die ich durchaus als knatschverrückt bezeichnen würde. Aber ein psychotischer Mensch ist mir noch nie über den Weg gelaufen.«
»Mein Chef ischt Psychopath«, sagte Bente laut. »Er ischt verdammt böse. Böse!«
» Und du bekommst noch mehr Wasser«, sagte Line und reichte ihr die Anderthalbliter-Flasche.
»Psychopath und psychotisch ist nicht dasselbe, Bente. Hat eine von euch Versunkene Stadt, das Meer steigt gelesen?«
Alle nickten. Alle außer Bente.
»Das ist zwei Jahre nach dem Urteil erschienen«, sagte Inger Johanne. »Stimmt das nicht? Und dann muß es doch auch …«
»Ist es nicht das,
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