In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
bekannt werden, sind nicht geheim. Wirklich verdeckte Misshandlungen scheint es nicht geben zu können. Beispielsweise nehme ich an, dass mein Dad meine Ma nicht schlägt. Aber vielleicht tut er’s doch. Wer kann das wissen? Und wie steht’s mit Ihren Eltern?«
Reacher grinste. »Eher unwahrscheinlich. Mein Vater war Offizier im Marinekorps. Ein großer Mann, nicht gerade zart besaitet. Aber Sie hätten meine Mutter erleben sollen. Vielleicht hat sie ihn geschlagen.«
»Also – ja oder nein, was Carmen und Sloop betrifft?«
»Sie hat mich überzeugt«, sagte Reacher. »Ganz ohne Zweifel.«
»Trotz allem, was wir über sie erfahren haben?«
»Sie hat mich überzeugt«, wiederholte er. »Vielleicht hat sie mir alle möglichen Lügengeschichten aufgetischt, aber er hat sie geschlagen. Davon bin ich überzeugt.«
Alice musterte ihn.
»Hundertprozentig?«, fragte sie.
»Hundertprozentig«, bestätigte er.
»Okay, aber ein schwieriger Fall ist dadurch noch schwieriger geworden. Und ich mag es nicht, wenn so was passiert.«
»Ich auch nicht«, sagte er. »Aber schwierig ist nicht dasselbe wie unmöglich.«
»Sie verstehen, wie sich der Fall aus juristischer Sicht darstellt?«
Er nickte. »Dazu braucht man nicht Jura studiert zu haben. Sie steckt echt in der Scheiße, wie man die Geschichte auch dreht und wendet. Hat es Misshandlungen gegeben, hat sie einen großen Fehler gemacht, weil man in der Lage sein wird, ihr nachzuweisen, dass sie vorsätzlich gehandelt hat. Hat es keine gegeben, war das schlicht und einfach Mord. Und ihre Glaubwürdigkeit ist in jedem Fall dahin, weil sie lügt und übertreibt. Damit wäre sie erledigt – wenn Walker nicht unbedingt Richter werden wollte.«
»Genau«, sagte Alice.
»Befriedigt Sie der Gedanke, sich auf diesen Zufall verlassen zu müssen?«
»Nein.«
»Mich auch nicht.«
»Weder moralisch noch praktisch«, fügte Alice hinzu. »Hier kann alles Mögliche passieren. Vielleicht hat Hack irgendwo ein uneheliches Kind, und das kommt heraus, und er muss seine Kandidatur zurückziehen. Vielleicht hat er eine Vorliebe für merkwürdige sexuelle Praktiken. Bis November ist noch lange hin. Darauf zu zählen, dass er unter allen Umständen
wählbar bleibt, wäre töricht. Sein taktisches Problem, das ihn auf die Seite für Carmen zwingt, kann irgendwann verschwinden. Also braucht sie eine vernünftig aufgebaute Verteidigung.«
Reacher lächelte. »Sie sind noch cleverer, als ich vermutet habe.«
»Ich dachte, Sie würden sagen: als ich aussehe.«
»Ich finde, mehr Anwältinnen sollten sich anziehen wie Sie.«
»Sie dürfen nicht als Zeuge aussagen«, stellte sie fest. »Viel sicherer für sie. Auch keine zu Protokoll gegebene Aussage. Ohne Sie ist die Pistole das Einzige, was auf Vorsatz hinweist. Und wir müssten argumentieren können, dass der Kauf einer Waffe und ihr tatsächlicher Gebrauch nicht unbedingt zusammenhängen. Vielleicht hat sie sich die Pistole aus einem anderen Grund besorgt.«
Reacher schwieg.
»Die Waffe wird jetzt untersucht«, sagte sie. »Im kriminaltechnischen Labor. Ballistisch und auf Fingerabdrücke. Offenbar sind Fingerabdrücke von zwei verschiedenen Personen gefunden worden. Von ihr, nehme ich an, vielleicht auch von ihm. Vielleicht hat er versucht, ihr die Pistole zu entreißen. Vielleicht war das Ganze ein Unfall.«
Reacher schüttelte den Kopf. »Die anderen Fingerabdrücke müssen meine sein. Sie hat mich gebeten, ihr zu zeigen, wie man schießt. Wir waren auf der Mesa und haben geübt.«
»Wann?«
»Samstag. Am Tag vor seiner Rückkehr.«
Alice starrte ihn an. »O Gott, Reacher«, sagte sie. »Sie dürfen auf keinen Fall als Zeuge aussagen, okay?«
»Das habe ich auch nicht vor.«
»Was ist, wenn Walker sich die Sache anders überlegt und Sie als Zeuge vorgeladen werden?«
»Dann müsste ich wohl lügen.«
»Können Sie das?«
»Ich war dreizehn Jahre lang so was wie ein Cop. Das wäre kein unerhört neuer Gedanke.«
»Wie würden Sie Ihre Fingerabdrücke auf der Pistole erklären?«
»Ich würde aussagen, dass ich sie irgendwo gefunden und ihr ahnungslos zurückgegeben habe. Das würde darauf hindeuten, dass sie sich die Sache nach dem Kauf der Waffe anders überlegt hat.«
»Macht es Ihnen nichts aus, solches Zeug zu erzählen?«
»Wenn der Zweck die Mittel heiligt, nein. Und ich glaube, dass das hier der Fall ist. Sie hat sich nur in eine Lage manövriert, in der sie Schwierigkeiten hat, die Wahrheit zu beweisen.
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