In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
auch nur andeutungsweise von irgendwelchen Gewalttätigkeiten zwischen den beiden gehört. Nicht ich, nicht Al, niemand. Sie verstehen, was ich damit sagen will? Es gibt keine Beweise. Wir haben nur ihre Aussage. Und Sie sind der einzige andere Mensch, der jemals davon gehört hat. Aber wenn Sie in den Zeugenstand treten, um ihre Darstellung zu bestätigen, ist dieser Prozess vorbei, noch bevor er richtig begonnen hat, weil die anderen Dinge, die Sie aussagen müssen, beweisen werden, dass Carmen eine pathologische Lügnerin ist. Hat sie beispielsweise behauptet, sie habe der Finanzbehörde den Tipp gegeben, dass Sloop Steuern hinterzogen hat?«
»Ja. Sie hat gesagt, sie habe bei der Steuerfahndung angerufen.«
Walker schüttelte den Kopf. »Er ist durch eine Kontrollmitteilung eines Betriebsprüfers aufgeflogen. Das war ein Zufallsprodukt bei der Überprüfung einer anderen Firma. Sie hatte nichts damit zu tun. Das weiß ich hundertprozentig, denn Sloop hat sich sofort an Al Eugene gewandt. Und Al war sofort bei mir, um sich Rat zu holen. Ich habe die Anzeige selbst gesehen. Schwarz auf weiß. Carmen ist eine Lügnerin, Reacher, schlicht und einfach. Oder vielleicht auch
nicht schlicht und einfach. Vielleicht stecken dahinter ein paar sehr komplizierte Motive.«
Reacher schwieg eine ganze Weile. »Vielleicht ist sie eine Lügnerin«, begann er dann. »Aber auch Lügnerinnen können misshandelt werden, genau wie andere Menschen. Und Misshandlungen können heimlich stattfinden. Sie wissen nicht, was sich auf der Red House Ranch abgespielt hat.«
Walker nickte. »Richtig, ich weiß es nicht. Aber ich würde mein Leben darauf verwetten, dass nichts dergleichen passiert ist.«
»Mich hat sie überzeugt.«
»Sie hat wahrscheinlich auch sich selbst überzeugt. Sie lebt in einer Fantasiewelt. Ich kenne sie, Reacher. Sie ist eine gewohnheitsmäßige Lügnerin, und sie hat ihren Mann ermordet.«
»Warum reden wir dann miteinander?«
Walker zögerte. »Kann ich Ihnen vertrauen?«, wollte er wissen.
»Ist das wichtig?«, fragte Reacher.
Der Staatsanwalt antwortete nicht gleich. Er starrte die Wand hinter Reacher an. In der Stille klang das Brummen der Klimageräte aufdringlich laut.
»Ja, es ist wichtig«, sagte er dann. »Sogar sehr wichtig. Für Carmen, aber auch für mich. Denn im Augenblick beurteilen Sie mich völlig falsch. Ich bin kein aufgebrachter Freund, der den Ruf seines alten Kumpels zu schützen versucht. Tatsächlich will ich eine Verteidigungsmöglichkeit für Carmen finden, ist Ihnen das nicht klar? Sogar eine erfinden. Vielleicht indem ich vorgebe, sie sei wirklich misshandelt worden, und ihre Tatvorbereitungen möglichst herunterspiele. Ich trage mich ernstlich mit dem Gedanken, das zu tun. Dann brauche ich nämlich keine Anklage gegen sie zu erheben und wahre meine Chancen aufs Richteramt.«
Danach herrschte wieder Schweigen.
»Ich möchte sie besuchen«, sagte Reacher.
Walker schüttelte den Kopf. »Ich darf Sie nicht zu ihr lassen. Sie sind nicht ihr Anwalt.«
»Sie könnten die Vorschriften flexibel auslegen.«
Walker vergrub seufzend seinen Kopf in den Händen. »Führen Sie mich bitte nicht in Versuchung. Im Augenblick spiele ich mit dem Gedanken, sämtliche Vorschriften über Bord zu werfen.«
Reacher sagte nichts. Walker starrte mit zusammengekniffenen Augen ins Leere.
»Ich will ihr wahres Motiv herausfinden«, sagte er schließlich. »Hat sie aus niedrigen Beweggründen – zum Beispiel aus Geldgier – gemordet, bleibt mir keine andere Wahl. Dann muss sie verurteilt werden.«
Reacher sagte nichts.
»Liegt der Fall jedoch anders, möchte ich, dass Sie mir helfen«, erklärte Walker. »Sind ihre Krankenakten auch nur entfernt plausibel, will ich versuchen, sie als Opfer von Misshandlungen hinzustellen und dadurch zu retten.«
Reacher sagte nichts.
»Okay, in Wirklichkeit will ich natürlich mich retten«, fuhr Walker fort. »Meine Chancen, zum Richter gewählt zu werden. Oder beides, okay? Sie und mich. Ellie auch. Ein reizendes kleines Mädchen. Sloop hat sie geliebt.«
»Und was also wollen Sie von mir?«
»Falls wir uns für diese Marschroute entscheiden.«
Reacher nickte. »Falls.«
»Dann möchte ich, dass Sie als Zeuge lügen«, sagte Walker. »Ich möchte, dass Sie wiederholen, was sie Ihnen über die Misshandlungen erzählt hat, und alles andere so abwandeln, dass ihre Glaubwürdigkeit gewahrt bleibt.«
Reacher schwieg.
»Deshalb muss ich Ihnen vertrauen
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