In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
sorgfältig in die
von Alice für diesen Zweck mitgebrachte braune Papiertüte. Reacher übernahm es, sie auf dem Weg zum Parkplatz zu tragen. Aber das wäre nicht nötig gewesen, denn der schrecklichen Hitze wegen bestand keine Gefahr, überfallen zu werden. Die Straßen waren menschenleer.
Das Innere des Beetle war so aufgeheizt, dass sie nicht gleich einsteigen konnten. Alice ließ den Motor an, stellte die Klimaanlage auf höchste Stufe und ließ die Türen offen, bis das Gebläse die Innentemperatur um dreißig Grad gesenkt hatte. Als sie einstiegen, lag sie bestimmt noch bei über fünfunddreißig Grad. Aber sie fühlte sich kühl an. Alles war eben relativ. Alice verließ Pecos nach Nordosten. Sie fuhr gut. Besser als er. Sie würgte den Motor kein einziges Mal ab.
»Bald gibt’s ein Gewitter«, sagte sie.
»Das sagen alle«, meinte er. »Aber ich sehe keins kommen.«
»Haben Sie schon mal eine solche Hitze erlebt?«
»Selten«, erwiderte er. »Nur ein paar Mal, aber anders. In Saudi-Arabien und im Pazifik. Aber Saudi-Arabien ist trockener und der Pazifik feuchter.«
»Für mich ist das alles neu«, erklärte Alice. »Und wie! Ich wusste, dass es hier heiß sein würde, aber so hab ich’s mir nicht vorgestellt.«
Dann wollte sie wissen, wo er im Nahen Osten und im Pazifik gewesen sei, und er antwortete mit der erweiterten Zehnminutenfassung seiner Autobiographie, denn er fühlte sich in ihrer Gesellschaft wohl. Die ersten sechsunddreißig Jahre waren wie immer einfach. Sie ergaben eine hübsch lineare Geschichte von seiner Kindheit bis zum Erwachsenenalter, von Leistungen und Erfolgen, die auf militärische Art durch Auszeichnungen und Beförderungen dokumentiert wurden. Die letzten Jahre waren da schon schwieriger. Die Ziellosigkeit, das unstete Wanderleben. Er sah sie als Triumph der Unabhängigkeit, aber er wusste, dass andere Leute
darüber anders dachten. Deshalb berichtete er wie immer nur seine Story und beantwortete die peinlichen Fragen.
Dann revanchierte sie sich mit ihrer Geschichte. Irgendwie besaß sie sehr viel Ähnlichkeit mit der Reachers. Er war der Sohn eines Soldaten, sie die Tochter eines Rechtsanwalts. Genau wie er hatte sie nie ernsthaft daran gedacht, einen anderen Beruf zu ergreifen als ihr Vater. Sie hatte ihr Leben lang Umgang mit Juristen gehabt und wollte es ihnen ganz selbstverständlich gleichtun. Genau wie er Soldat geworden war. Sie hatte sieben Jahre lang in Harvard studiert, während er vier Jahre lang West Point besucht hatte. Jetzt war sie fünfundzwanzig und ehrgeizige Junganwältin. Er war mit fünfundzwanzig ein ehrgeiziger Leutnant gewesen und wusste recht gut, wie sie empfand.
»Was kommt als Nächstes?«, wollte er wissen.
»Nach Pecos?«, fragte sie. »Dann gehe ich wieder nach New York, denke ich. Oder vielleicht nach Washington. Ich fange an, mich für Politik zu interessieren.«
»Wird Ihnen die Juristerei auf unterster Ebene nicht fehlen?«
»Doch, wahrscheinlich schon. Aber ich werde sie nicht völlig aufgeben. Vielleicht arbeite ich jedes Jahr ein paar Wochen als Freiwillige in dieser Beratungsstelle. Ich will jedenfalls versuchen, sie finanziell zu unterstützen. Daher kommt nämlich unser ganzes Geld, müssen Sie wissen. Von großen Kanzleien, die sich trotz ihres Erfolgs in Großstädten ein soziales Gewissen bewahrt haben.«
»Freut mich, das zu hören. Auf diesem Gebiet muss wirklich etwas getan werden.«
»Allerdings.«
»Was ist mit Hack Walker?«, fragte er. »Wird er’s schaffen, das System zu verändern?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kenne ihn nicht besonders gut. Aber er hat einen guten Ruf. Und er kann nichts
schlimmer machen, oder? Das System ist einfach beschissen. Ich meine, ich bin Demokratin, auch meiner politischen Einstellung nach, deshalb müsste ich mit der Idee, unsere Richter zu wählen, völlig einverstanden sein. Theoretisch. Aber in der Praxis ist die Sache längst aus dem Ruder gelaufen. Ich meine, was kostet es schon, hierzulande einen Wahlkampf zu führen?«
»Keine Ahnung.«
»Nun, das können Sie sich selbst ausrechnen. Wir sprechen im Prinzip vom Pecos County, weil hier die meisten Wähler ansässig sind. Eine Hand voll Plakate, ein paar Anzeigen in der Zeitung, ein halbes Dutzend selbst gestaltete Werbespots im Lokalfernsehen. Bei einem Markt dieser Größe muss man sich schon anstrengen, um für seinen Wahlkampf mehr als eine fünfstellige Zahl auszugeben. Aber jeder dieser Kerle sammelt
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