In Liebe, Rachel
über die Lavafelder im Vulcano Nationalpark gewandert sind?«
Sie wusste, dass er sich erinnerte, sah, wie es hinter den wütend zusammengezogenen Brauen arbeitete. In dieser Nacht waren sie mit einer Taschenlampe vorsichtig den markierten Weg entlanggelaufen, waren der Hitze immer näher gekommen, dem Schwefelgeruch, dem gefährlichen roten Schein der Lava. Sie hatten beobachtet, wie flüssiger Stein Funken versprühte, hatten dem Zischen gelauscht, jedes Mal, wenn ein Rinnsal ins Meer gelangte und neues Land gebar.
»Ich erinnere mich an alles«, murmelte sie, »ich erinnere mich, wie ich neben dir im Dunkeln stand, wie ich deine Hand hielt, wie ich an die Jahre dachte, die vor uns lagen, an das neue Leben, das wir eines Tages zusammen erschaffen würden. Das Kind, das wir Tess nennen würden …«
»Kate, komm zum Punkt.« Worte stauten sich hinter seinen Lippen. Sie sah das ärgerliche Zucken seiner Halsmuskeln.
»Das ist der Punkt! Das ist es, was ich dir die ganze Zeit zu sagen versucht habe.« Einen Moment lang war ihr schwindelig, ein Gefühl wie bei der offenen Flugzeugtür, kurz bevor man ins Leere trat. »Ich glaube, dass die Probleme in unserer Ehe nach Tess’ Geburt begannen.«
Sein Kopf fuhr hoch, seine Finger hielten inne, er starrte sie an.
»Ein großer Teil war meine Schuld.« Sie platzte mit den Worten heraus, während er noch ihre vorherigen verarbeitete. Vielleicht bekäme sie keine Chance mehr, alles zu erklären, wenn sie jetzt nicht die Gelegenheit ergriff. »Ein Baby zu bekommen hat mich zu Tode geängstigt. Ich hatte so unendliche Angst, alles zu vermasseln. Du kannst mich in eine Firma schicken, die seit dreißig Jahren handgeschriebene Unterlagen stapelt. Innerhalb weniger Wochen habe ich den Laden in Ordnung gebracht. Aber ein fünf Kilo schweres, quäkendes Neugeborenes? Dafür gibt es keine Richtlinien, keine halbjährlichen Berichte, keine Leiter, die es zu erklimmen gilt. Ich fühlte mich so verloren …«
»Seit Tess?« Paul legte den Kopf schief. »Seit
Tess?
«
»… weshalb ich mich Hals über Kopf, mit Haut und Haaren hineingestürzt habe, so, wie ich es immer mache. Ich habe jedes verdammte Buch gelesen, ihr Mozart vorgespielt, während sie schlief, und jedes pädagogisch wertvolle Spielzeug gekauft. Als Michael und Anna geboren wurden, konnte ich damit nicht aufhören. Es wurde nur noch schlimmer, wurde immer mehr, und plötzlich war ich Vorsitzende der Eltern-Lehrer-Vereinigung und habe die Kinder zum Fußball chauffiert …«
»Jetzt nähern wir uns dem zentralen Punkt, denn genau darum geht es.« Paul riss das Seil los und schleuderte es ins Gras. »Du machst mit den Kindern viel zu viel.«
»Ich weiß.«
»Michael ist in zwei Sportvereinen, Tess ist in der Auswahlmannschaft.« Er schleuderte ein feuchtes Handtuch zu Boden. »Anna ist im Turnverein …«
»Ich wollte nicht, dass es so …«
»… und du«, fuhr er fort, während er einen Eimer voll Kies mit dem Fuß zur Seite schob, »du betrachtest Sex als etwas, das auf einer Liste abgehakt werden muss.«
Von weit her hörte Kate, wie Jo ein seltsam würgendes Geräusch von sich gab. Die Wahrheit schmerzte. Einmal hatte sie Sex tatsächlich auf eine Liste gesetzt. »Sex mit Paul«, hatte sie nach »Fußballtraining Tess« und vor »Anna baden« geschrieben.
»Das wird sich ändern.« Ihre Stimme zitterte, sie sprudelte die Worte hervor. »Ich werde mich nicht mehr so … intensiv um die Kinder kümmern.«
»Aber klar doch.«
»Wirklich, Paul, ich habe das bereits beschlossen.«
Schon lange bevor das Flugzeug in Newark gelandet war. Nächste Woche würde sie mit den Lehrern sprechen, sie würde zum Ende des Halbjahres als Vorsitzende der Vereinigung zurücktreten. Und sie wollte wieder Sex mit Paul haben, oft, leidenschaftlich, so wie damals – Sex auf dem Trockner, Sex in der Dusche, Sex wie früher, spontan, regelmäßig, hart.
»Okay, vielleicht stimmt das«, sagte er leise, aber unverändert wütend. »Vielleicht hast du beschlossen, dass du das ändern musst, dass du dich weniger nach den Kindern richten musst. Und schon ist alles wieder normal? Glaubst du das etwa?«
»Ja!«
»Ich weiß, wie sehr du die Kinder liebst, Kate. Das bestreite ich gar nicht. Sie sind deine ganze Welt.«
Tränen standen in ihren Augen. »Ja«, antwortete sie um den Kloß in ihrer Kehle herum, »ja, das sind sie.«
»In den letzten zwei Wochen habe ich immer wieder über unsere Ehe nachgedacht«, fuhr er fort.
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