In Liebe, Rachel
»wenn sie zurückkommt.«
Sarah hielt einen Moment lang damit inne, Jessies Rücken zu streicheln. »Ich dachte, du suchst nach einem Job? Du hast mir doch erzählt, dass du Lehrerin werden willst.«
Jessie zuckte mit den Schultern und betrachtete konzentriert den Teebeutel in ihrer Tasse. »Ich warte auf den richtigen Job. Und die Familie kommt an erster Stelle.«
»Verstehe ich dich richtig?«, fragte Jo. »Du kümmerst dich um zwei alte, kranke Leute, und jetzt soll auch noch ein Kind dazukommen?«
Jessie streckte starrsinnig das Kinn vor. Die Geste erinnerte Jo schmerzhaft an Grace. »Ich schaffe das schon.«
»Mein Anwalt könnte das anders sehen«, gab Jo zurück.
Da ertönte plötzlich ein hohes, durchdringendes Heulen aus Grace’ Zimmer. Die Tür öffnete sich so abrupt, dass sie gegen die Wand im Flur prallte. Grace stürzte aus dem Raum und rannte schreiend über den Flur ins Badezimmer, wo sie die Tür hinter sich ins Schloss warf.
Mrs Braun kam sichtlich verwirrt hinterher und hielt sich am Türrahmen fest. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich verstehe das nicht.«
Jo ging ins Wohnzimmer und blickte die Treppe hinauf nach oben. »Haben Sie mit ihr darüber gesprochen, sie mit zu sich zu nehmen?«
»Nein«, sagte Mrs Braun. »Ich habe es nicht einmal vorgeschlagen.«
»Warum ist sie dann so außer sich?«
»Ich weiß es nicht!« Mrs Braun ging mühsam zur Treppe und packte atemlos das Geländer. »Sie hat mir ihr Zimmer gezeigt. Die Puppen, die blinzeln können, den Computer, die Barbie, die Sie ihr gekauft haben. Oh, Rachel würde Sie vierteilen, wenn sie das wüsste, Jo! Ich habe die lilafarbene Decke auf ihrem Bett bewundert und ihr von ihrem Zimmer daheim erzählt … dass wir es ein wenig umgestaltet haben …«
Sarah sog hinter Jo scharf die Luft ein.
»… dass wir ihr einen lilafarbenen Überwurf mit Pinguinen darauf gekauft haben, die mag sie doch so gern. Ich konnte mein Glück kaum fassen, als ich die Decke bei Target entdeckt hatte. Und jetzt … das hier!«
»Veränderung«, kommentierte Jo verstehend. »Sie haben etwas verändert.«
»Sie hat vollkommen die Fassung verloren. Ich habe sie noch nie so erlebt. Nicht einmal, als …« Mrs Braun legte die Hand über den Mund und ging dann mühsam über den Flur Richtung Badezimmer. »Gracie, Liebes, Gracie«, flehte sie mit zitternder Stimme. »Lass Nana jetzt hinein, sei ein braves Mädchen …«
»Mrs Braun, ich schlage vor, dass Sie Grace ein bisschen in Ruhe lassen«, sagte Jo.
»Aber …«
»Sie wird sich wieder beruhigen.« Jo stemmte die Hände in die Hüften. »Und wir müssen uns unterhalten.«
Über Veränderungen. Und ein siebenjähriges Waisenkind.
»Sie weint«, erwiderte Mrs Braun. »Ich kann sie doch nicht weinend allein im Badezimmer lassen!«
»Vielleicht kann ich helfen.« Sarah rutschte von ihrem Barhocker und ließ die Decke, die sie um die Schultern geschlungen hatte, zu Boden fallen. »Grace und ich hatten gestern viel Spaß zusammen: Ihre Barbie war die Ärztin und die Stofftiere die Patienten.« Sarah zuckte unter den abschätzenden Blicken von drei Frauen gleichmütig mit den Schultern. »Ich habe Erfahrung mit Kindern, die gerade ihre Eltern verloren haben.«
Sarah ging die Treppe hinauf und legte Mrs Braun eine Hand auf den Rücken. Die ältere Frau zog sich zögernd zurück. Sarah kauerte sich an die Badezimmertür und flüsterte leise etwas, das Jo nicht verstehen konnte, doch ihre Worte schienen eine beruhigende Wirkung auf Grace zu haben. Die Schluchzer nahmen ab.
»Ich habe sie noch nie so erlebt«, wiederholte Mrs Braun, als sie die Treppen hinunterging und sich schwer auf einen der Barhocker fallen ließ. »In der einen Minute geht es ihr gut, und in der nächsten verliert sie vollkommen die Nerven.«
»Das liegt an den Veränderungen«, erklärte Jo und schob Mrs Braun eine Teetasse zu, während sie fieberhaft überlegte, wie sie die heikle Situation entschärfen konnte. »Sie haben etwas in ihrem Zimmer verändert.«
»Sie liebt Lila. Und sie liebt Pinguine.«
»Das hat sich vielleicht gar nicht geändert.« Jo schob Zucker und Sahne über die Arbeitsplatte. »Es geht um Veränderungen, sie sind das Problem. Sie sind schlecht für Grace, weil es in letzter Zeit zu viele gab.«
»Als ob ich das nicht wüsste!«, rief Mrs Braun, während sie ihren Teebeutel durch das Teewasser zog. »Wenn sie erst einmal in Teaneck ist, wird alles wieder normal werden.«
Jo nahm das
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