In Liebe, Rachel
war.
»Ich spreche nicht von der Arbeit.« Er verschränkte die Arme und blickte sich um, schaute auf die schmutzige Straße, den rauhen Putz der Klinik, die satten Farben des Dschungels – überallhin, nur nicht zu ihr, die immer noch im Schatten stand. »Ich hatte ganz andere Pläne. Jeden Morgen habe ich mir gesagt, dass ich ehrlich mit dir sein muss. Aber dann hast du mich mit diesem wunderbaren Ausdruck auf deinem Gesicht angesehen. Du hast mich mit deinem Blick verführt, Sarah. Damals in Paraguay. Und jetzt hier.« Er zuckte mit den Schultern und schob die Hände wieder in die Hosentaschen. »Was soll ich sagen? Ich habe mich von meiner exotischen, anbetungswürdigen Krankenschwester verführen lassen.«
Exotisch? Mit ihrer blassen, sommersprossigen Haut und dem mausbraunen Haar hielt sich Sarah eher für durchschnittlich. Ganz sicher war sie in der Kunst der Verführung nicht geübt. Im Ausland fühlte sie sich neben dunklem Rocky Road oder Marmorkuchen oder Pekannussbutter oder Mandelmokka immer wie langweilige Vanille.
Neben kräftiger, dunkler Schokolade erging es ihr ebenso.
»Sag mir, meine Pfarrerstochter aus Vermont«, fuhr Colin fort, während er mit dem Schuh ein Muster in den Staub zeichnete, »welche Sünde ist es, der Mann sein zu wollen, für den du mich hältst?«
Sarah schüttelte verständnislos den Kopf.
»Ist es Eitelkeit? Oder Stolz?«
»Es ist keine Sünde, ein guter Mensch sein zu wollen.«
»Das ist der wahre Grund, warum ich nicht zurück nach Paraguay gekommen bin. Ich hatte Entscheidungen getroffen, die du nicht gutgeheißen hättest. Wenn ich zurückgekommen wäre, wärest du vollkommen desillusioniert worden. Es ist ganz schön hart, den Superheld-Umhang zu tragen, Sarah-Belle. Er wiegt tonnenschwer. Es war leichter, die Erinnerung an dich zu den Akten zu legen.«
Auf ein Regal hast du diese Akte gelegt, dachte sie und zuckte zusammen. Die Aufschrift »Leidenschaftliche Affäre im südamerikanischen Dschungel« zierte den Ordner.
»Und jetzt, ausgerechnet jetzt, am anderen Ende der Welt, wo ich zu Hause gerade etwas Neues beginne und mein Leben im Fluss ist …«
Und, ergänzte Sarah lautlos, du bald eine andere Frau heiraten wirst, Victoria Lee, der Mittelpunkt der südkalifornischen Gesellschaft.
»… tauchst du hier plötzlich auf, wie aus dem Nichts. Erinnerst mich an das Leben, das ich einmal hatte, an den besseren Menschen, der ich einmal war.«
»Du bist zu hart zu dir.« Das war die Wahrheit. Colin bewirkte Wunder am Operationstisch. Er widmete seine Zeit immer noch der internationalen Entwicklungshilfe. Er hasste immer noch kleine Ärgernisse wie defekte Ausrüstungen, klapprige Autos oder nicht eingehaltene Zeitpläne. Er zählte immer noch die Bürstenstriche, wenn er sich die Zähne putzte. Und er hatte immer noch die enervierende Angewohnheit, eine unbehagliche emotionale Situation zu ignorieren und ihr so lange wie möglich aus dem Weg zu gehen. Sarah hielt wegen dieses nur allzu menschlichen Fehlers jedoch nicht weniger von ihm. »Ehrlich, Colin, du hast dich seit Paraguay überhaupt nicht verändert.«
»O doch, das habe ich sehr wohl.« Er verzog den Mund zu einem undefinierbaren Lächeln. »Superhelden lügen nicht, Sarah. Und ganz sicher betrügen sie auch nicht ihre Verlobte.«
Jetzt hatte er sie bestätigt, die Verlobung, die ausführlich in der
Los Angeles Times
angekündigt worden war. Er und seine Verlobte hatten eine Hochzeitsliste für Silber und Kristall bei Tiffany’s hinterlegt. Sarah hatte erwogen, Colin ein Abschiedsgeschenk zu machen, eine Sauciere aus der gewünschten Geschirrserie, doch sie kostete mehr als vier Monatsrationen Reis für das Camp.
Was ist schlimmer, Sarah-Belle? Dass ich eine verheiratete Frau küsse oder du einen verlobten Mann vögelst?
Sarah wischte sich den Staub von ihrem Rock. »Ich muss jetzt gehen.« Für immer. In die Staaten fliehen und einen Weg finden, sich zu verzeihen, dass sie einen Mann von seinem Versprechen, das er einer anderen Frau gegeben hatte, fortgelockt hatte. »Sam braucht sicher Hilfe beim Einladen …«
»Geh nicht!«
Plötzlich stand er vor ihr. Er legte seine Hand auf ihren wirren Haarschopf.
»Colin, bitte …«
Sie packte sein Handgelenk. Es war stark, sie spürte die geschickte Hand des Chirurgen. Seine Berührung beschämte sie, und seltsamerweise war sie auch von ihm enttäuscht. Sie wollte nicht, dass er sie küsste. Nicht jetzt. Nie wieder. Etwas hatte sich in ihrem
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