In Liebe, Rachel
sagte Sarah und schloss mit einer Handbewegung die Klinik, das ganze Elend ein, »dann würde ich jedem den Appetit auf Pinot Grigio und Datteln im Speckmantel verderben.«
»Autsch.«
Sarah rieb sich die Augen mit dem Handrücken. Ihr Rücken schmerzte. Selbst gegen die Wand gelehnt, konnte sie den Schmerz nicht bändigen. »Du und ich … wir sehen die Welt mit verschiedenen Augen.«
Kate lachte freudlos auf. »Hey, ich glaube nicht, dass eine rosa Brille dies hier schöner machen könnte.«
»Das meine ich nicht.« Sarah nahm sich die Zigarette und rollte die nasse Spitze zwischen ihren Fingern. »Erinnerst du dich daran, dass ich einmal zu Thanksgiving bei dir und Paul zu Gast war?«
»Klar. Deine Eltern waren auf Missionsreise in Europa.«
»Tess war erst ein paar Jahre alt. Ich glaube, du warst gerade wieder schwanger.« Sarah steckte sich den Rock zwischen die Knie. »Du hattest einen unglaublichen Tafelaufsatz auf dem Esstisch. Eine Schale gefüllt mit Weizengras und Immergrün, das du in der Nachbarschaft gepflückt hattest, und darauf lauter blaue und silberne Dekostücke.«
»Damit alles zu den Stuhlbezügen passte. Hatte ich in
Family Circle
gesehen.«
»Ich habe das ganze Wochenende dieses Gebilde angesehen.« Sarah nahm einen letzten Zug und drückte den Stummel aus, während sie den Rauch ausstieß. »Ich habe die ganze Zeit gedacht: Wie viel Zeit hat sie dafür gebraucht? Und wo, um Himmels willen, findet man Weizengras? Und warum versucht sie so angestrengt, ihr Haus wie die Titelseite von
Schöner Wohnen
aussehen zu lassen?«
Kate zuckte verblüfft mit den Schultern.
»Weißt du, was Jo mal zu mir gesagt hat? Sie hat mir gestanden, dass es in dieser Welt ihr Job ist, unrealistische Ideale zu kreieren. Ein Bild zu erschaffen, das so stark ist, dass selbst gute, ehrliche, hart arbeitende Menschen – Menschen wie du, Kate – alles tun werden, um diesen unerfüllbaren Erwartungen zu entsprechen.«
Kate wurde sehr still. Ihre Lippen öffneten sich, und ihre Augen blickten weit über den Dschungel hinaus.
»Das meinte ich damit, als ich sagte, dass wir zwei die Welt mit unterschiedlichen Augen sehen.« Sarah klopfte an die Wand hinter ihrem Kopf. »Diese Klinik, dieser Ort hier – stell dir nur vor, wie verrückt ich sein müsste, wenn ich davon überzeugt wäre, dass man alle Probleme hier tatsächlich lösen könnte.«
Die Erinnerung an das niedliche kleine Mädchen mit den schiefen Zöpfen, das blutend auf einer Pritsche im Camp lag, stieg in Sarah auf.
»Aber das ist doch etwas ganz anderes. Ich will nur das Beste für Paul, für die Kinder …«, murmelte Kate.
»Das, was
du
für das Beste hältst? Oder Michaels Lehrer, indem er sich dieses dämliche Blockhüttenprojekt einfallen lässt? Oder das, was diese Zeitschriften für das Beste halten?« Sie stieß Kate mit der Schulter freundschaftlich an. »Du musst deinen Instinkten mehr vertrauen, sonst wirst du verrückt. Du wirst ewig auf der Jagd nach dem Regenbogen sein.«
»Himmel, Sarah, woher hast du denn diesen Spruch?«
Die Erinnerung traf Sarah wie eine Faust.
Rachel lehnte entspannt an einem Erdhügel in Burundi und blies einen Rauchring in das blaue Mondlicht.
Für ein Mädchen, das bis zu den Knien im Dreck dieser Welt steht, verschwendest du bei der Liebe ganz schön viel Zeit damit, dem Regenbogen nachzujagen, Sarah.
Rachel, wenn du drei Stunden damit verbracht hast, Schrapnells aus dem Bein eines Achtjährigen herauszuklauben, dann sprechen wir weiter, okay? Lass mir bis dahin meinen scharfen, gutaussehenden Regenbogen.
Kleine, eins solltest du über Regenbogen wissen: Aus der Ferne sind sie vollkommen. Doch wenn man zu nahe an sie herangeht, verschwinden sie einfach.
»Von Rachel.« Sarah wandte das Gesicht ab, zu den Patienten, die immer noch die Straße bevölkerten, und zu der langsam wachsenden Erkenntnis, wie unerfüllbar ihre Erwartungen an einen bestimmten Mann gewesen waren. »Als sie mich in Burundi besuchte, hatte sie sehr viel über Regenbogen zu sagen.«
»Sarah-Belle, ich finde, dass du die unglaublichste Frau bist, die ich kenne.« Kate schlang ihre Hände um Sarahs Arm und drückte ihre Wange an ihre Schulter.
Kate und Sarah saßen immer noch an der Wand, als sich einige Zeit später die Hintertür der Klinik quietschend öffnete und Colin seinen Kopf herausstreckte. »Da seid ihr ja. Ich habe nach euch gesucht. Wir machen hier gerade Schluss.« Er blinzelte durch die Bäume. »Wir
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