In Liebe, Rachel
Nelken. Sarah formte einen Rauchring und verfolgte, wie er sich wabernd ausdehnte und schließlich in den Himmel aufstieg. »Also, Kate Jansen ist in Samuel Roger Tremayne verschossen«, sagte sie und fühlte sich dabei gemein und würdelos.
»O nein, nein!« Kate vergrub das Gesicht in den Händen und blickte dann plötzlich wieder auf. »Ich bin so blöd! Sam hat mich aufgefangen, als ich beinahe gefallen wäre, nichts weiter.«
»Schon klar«, erwiderte Sarah und warf ihr durch den Rauch einen scharfen Blick zu, »er hat dich mit seinen Lippen aufgefangen.«
»Lippen? Nein! Wir haben uns nicht geküsst, Sarah! Ganz bestimmt nicht! Er hat mich nur gehalten. Es ist nichts passiert, wirklich.«
Erleichterung war etwas Heimtückisches.
»Hör zu, ich bin völlig fertig.« Kate raufte sich die Haare. »Ich bin einfach losgeflogen und habe meinen Mann und meine Kinder im Stich gelassen. Ich bin die schlimmste Kreatur auf Erden. Ich bin die schlechte Mutter.«
»Das ist aber ein bisschen hart.«
»Ich muss nach Hause und alles in Ordnung bringen.«
»Kate, ich bin mir sicher, dass sie alle gut zurechtkommen.«
»Du verstehst das nicht.« Kate kreuzte die Arme vor der Brust und umfasste ihre Schultern. »Jeder glaubt, dass ich zu Hause nur Soaps im Fernsehen anschaue und Gourmetmahlzeiten zaubere … doch normalerweise gieße ich riesige Nudelberge ab und schütte Fertigsoße darüber, oder ich renne auf der Suche nach farbigem Karton oder den richtigen Fußballschuhen in der Stadt umher, oder ich repariere bröckelnde Wände oder messe Fieber, während ich am Telefon das nächste Fundraising-Event für die Schule plane. Ich bin immer kurz davor, die Kontrolle zu verlieren. Ich bin hierhergekommen, weil ich dachte, ich könnte mich selbst wiederfinden und dadurch dann sogar meine Ehe wieder aufpolieren – und dabei habe ich Paul einfach den ganzen Wahnsinn vor die Füße geworfen.«
»Endlich brichst du zusammen.«
»Ich buche meinen Rückflug um, sobald wir wieder im Hotel sind. Morgen früh will ich zurückfliegen.«
»Soll ich ehrlich sein?«, fragte Sarah und drehte die
bidi
zwischen den Fingern. »Ich habe schon viel früher mit einem Zusammenbruch gerechnet.«
»Wie meinst du das?«
»Nach dem Schulabschluss, im ersten Jahr am College, hattest du dieses Strandhaus mit der Kreditkarte deines Vaters gemietet. Hast das halbe Wohnheim eingeladen und der Bar vor Ort gezeigt, was eine richtige Party ist.« Sarah rückte ihre sich auflösende Frisur zurecht. »Du hast vier Tage wie ein Tier gefeiert. Zwei davon mit einem verstauchten Knöchel.«
»Ich habe nur ein wenig Dampf abgelassen. Die Abschlussprüfungen und die GMAT -Tests für die Zulassung zum Master fanden praktisch in derselben Woche statt.«
»Dann hast du es im Abschlussjahr richtig krachen lassen. Erinnerst du dich, als du oben ohne auf den Berggipfel geklettert bist und diese zwei Ranger …«
»Hey, das war ein hartes Semester!«
»Kate, ich weiß nicht viel von deinem Leben daheim, aber irgendetwas sagt mir, dass dieser Zusammenbruch unausweichlich war. Und dass er sich schon lange angedeutet hat.«
Eine Falte erschien zwischen Kates Brauen. Sie zupfte an einem Faden am Saum ihres Punjabi-Gewandes, das jetzt verknittert und verschwitzt war.
Sarah stupste sie mit der Faust in die Seite. »Nebenbei bemerkt: Wenn du es krachen lässt, bist du der Wahnsinn.«
Kate lachte auf, doch es klang eher wie ein Schluchzen. Dann legte sie den Kopf auf Sarahs Schulter. Die Sonne ging langsam unter, die stechende Hitze des Tages wurde milder. Eine vorwitzige Brise tanzte durch die Baumwipfel, jagte Schatten über den Boden, und ein drohender Regenschauer lag in der Luft.
Kate fragte leise: »Wie machst du das nur, Sarah? Wie kannst du so ruhig, so gleichmütig bleiben … und hier arbeiten?«
Sarah verdrehte die Augen und nahm statt einer Antwort einen tiefen Zug. Nach dem Streit mit Sam wollte sie über dieses Thema am allerwenigsten sprechen. Gerade jetzt fühlte sie sich ganz und gar nicht wie eine beherzte, aufopfernde, moralisch nicht korrumpierbare Entwicklungshelferin.
Sie stieß eine duftende Rauchwolke aus. »Ich werde dafür bezahlt.«
»Mit Zigaretten«, brummte Kate und griff nach dem sich auflösenden Rest. »Die noch dazu eklig sind.«
»Kate, ich erzähle dir doch dauernd davon.«
»Nein, das stimmt nicht. Du bittest nur um Geld.«
»Für Lebensmittel, Vorräte, Bestechung. Wenn ich wirklich über all das reden würde«,
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