In Liebe, Rachel
traurig bin. Ich weine, weil ich glücklich bin. Jemand
braucht mich
.«
»Liebes, was ist denn da drüben mit dir passiert?«
»Später. Das ist eine lange Geschichte. Kümmern wir uns erst mal um Gracie.« Sie räusperte sich. Jo stellte sich vor, wie sie sich auf dem Hotelbett hinsetzte, ihr Schlabber-T-Shirt zurechtzog, die Lesebrille aufsetzte, von der sie so ungern zugab, dass sie sie brauchte, und sich an die Arbeit machte. »Okay. Was brauchst du?«
In der nächsten halben Stunde machte sich Jo hektisch Notizen. Sie schrieb Listen mit Medikamenten, die sie immer zur Hand haben musste: Cortisonsalbe, eine antibakterielle Lösung für kleinere Wunden, Pflaster in allen Größen und Formen, ein Thermometer, Paracetamolsaft, Ibuprofensaft, Hustensaft sowie das Antihistaminikum Benadryl und Caladryl-Salbe gegen Mückenstiche und allergische Reaktionen. Kate fragte, ob Grace Medizin schluckte, und als Jo zögerte, versetzte sie sie in Angst und Schrecken mit der Bemerkung, dass sie auch Zäpfchen verwenden könne.
Die Tipps kamen Schlag auf Schlag. Wenn ein Kind kein Bad nehmen will, muss man ihm Schaumblasen versprechen oder es im Badeanzug baden lassen, und wenn es keinen hat, dann darf es Unterwäsche tragen.
»Was macht denn schon ein nasses Kleidungsstück?«, sagte Kate.
Weil Jos Wanne keinen Brauseschlauch hatte, empfahl Kate, einen Schlauch zu kaufen, der bis zum Waschbecken reichte und mit einem Kopf versehen war, der einer Badeente glich. Das würde helfen, wenn sie Grace die Haare waschen musste. Haare kämmen? Am besten, während die Kleine Fernsehen schaute oder frühstückte oder anderweitig abgelenkt war.
»Nimm einen Kamm mit großen Zwischenräumen zwischen den Zinken, flicht die Haare zu Zöpfen, damit sie nicht so schnell verfilzen. Und das machst du am besten jeden Tag.«
Als Jo ihr von dem Erlebnis mit Benito erzählte, jauchzte Kate vor Lachen. »O Jo! Sag bloß, du hast versucht, ihr Gourmet-Mac-and-Cheese vorzusetzen?«
»Süße, ich hätte sie mit Trüffeln gefüttert, wenn ich gewusst hätte, dass sie sie isst.«
»Kauf ihr die fertigen Mac and Cheese … die in der blauen Schachtel mit den Zeichentrickfiguren und dem orangefarbenen Käsepulver.
Die
mögen Kinder.«
Kate bestätigte, dass Kinder seltsame Wesen waren. Sie empfahl Apfelschnitze zum Mittagessen, die Grace in Erdnussbutter tauchen konnte.
Zum Mittagessen?
Warum nicht? Obst und Eiweiß.
Sie zählte ein paar weitere Tricks auf: »Nenn Brokkoli ›Bäume‹ und Blumenkohl ›Schneebäume‹. Spiel beim Abendessen ›Schieß die Erbse in den Mund‹. Mach Gesichter aus Bolognesesoße. Vermeide allzu anspruchsvolle Soßen. Mach einfach alles so schlicht wie möglich.«
Jos Hand verkrampfte sich beim Schreiben, und sie musste sie ausschütteln. Kate sprach immer noch.
»Kleidergrößen sagen gar nichts. Einer Elfjährigen kann auch Größe acht passen, wenn sie zierlich genug ist. Richte dich besser nach dem Gewicht, nicht nach dem Alter. Leg dich nicht auf Jeans oder schicke Schuhe oder Strumpfhosen fest. Manche Kinder mögen weder das eine noch das andere. Probier’s mit Jogginghosen, einfachen Baumwoll-T-Shirts, robuster und bequemer Kleidung. Kauf Turnschuhe und andere Schuhe immer eine halbe Nummer größer. Kinder wachsen in Schüben, und man weiß nie genau, wann der nächste kommt. Weißt du«, sagte Kate schließlich, »wir haben jetzt fast eine Stunde telefoniert. Durch dich fühle ich mich tatsächlich wie ein Genie.«
»Sich um dieses Kind zu kümmern ist schlimmer, als ein kümmerliches Ferkel für die County Fair zu mästen.«
»Du Arme! Aber so schlimm ist es bestimmt nicht.«
»Gott steh mir bei!«
»Du trinkst doch hoffentlich keinen Wein?«
»Nur Mineralwasser.« Jo warf einer Flasche in ihrem Glasschrank einen sehnsüchtigen Blick zu. »Auch wenn mich der Jack Daniels anlacht.«
»Bleib stark! Du musst immer auf der Hut sein.«
Es knackte wieder in der Leitung. Aber Kate war noch dran. Jo konnte ihren Atem über Tausende Kilometer hinweg hören und wünschte sich sehnsüchtig, dass die Freundin in diesem Augenblick neben ihr säße.
»Weißt du, was mich wirklich ankotzt, Kate? In meiner Welt – der Arbeitswelt – bekomme ich eine Gehaltserhöhung oder eine Beförderung, wenn ich etwas gut mache. Man geht einen Schritt weiter, fühlt sich wertgeschätzt. Und wenn man schlecht in seinem Job ist, nun, dann wird man bald Steine klopfen und sich sehr viel mehr anstrengen müssen als bisher.
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