In Liebe und Tod
zufolge, die Eve ohne richterliche Erlaubnis einsehen konnte, waren weder ihre Stiefmutter noch ihre Stiefschwester besonders reich. Beide bezogen in ihren Berufen ein durchschnittliches Gehalt.
Tandys Konten wiesen keine verdächtigen Abhebungen oder Einzahlungen auf, die vermuten lassen würden, dass sie Opfer einer Erpressung oder selbst eine Erpresserin war.
Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre das Einzige von Wert, was sie zu bieten hatte, das Kind in ihrem Leib.
Intuitiv wählte Eve die Nummer der Besitzerin des Weißen Storchs.
»Lieutenant Dallas. Sie haben Tandy gefunden.«
»Nein.«
»Ich verstehe das alles einfach nicht.« Liane Brosh war eine jugendliche Frau von vielleicht Anfang sechzig, der die Sorge um die Angestellte deutlich anzusehen war. »Vielleicht ist sie ja einfach übers Wochenende weggefahren. Vielleicht in irgendein Spa, um noch mal Kraft zu sammeln, bevor das Baby kommt.«
»Hat sie gesagt, dass sie so etwas machen will?«
»Nein, nicht wirklich. Ich habe es ihr ein paarmal vorgeschlagen, aber sie hat immer gesagt, sie hätte Kraft genug.« Liane verzog den Mund zu einem schwachen Lächeln. »Wir haben hier im Laden eine kleine Babyparty für sie veranstaltet, ich habe ihr einen Gutschein für einen Tag in einem Spa in der City geschenkt. Sie meinte, den würde sie für die Zeit nach der Geburt auf-heben. Ich hoffe, dass mit ihr alles in Ordnung ist. Vielleicht wollte sie einfach mal fürs Wochenende raus aus der Stadt.«
»Können Sie sich vorstellen, dass sie so was tut?«
»Nein, eigentlich nicht.« Liane stieß einen Seufzer aus. »Das würde ganz einfach nicht zu Tandy passen. Ich mache mir fürchterliche Sorgen.«
»Können Sie mir sagen, ob jemand in den Laden gekommen ist, um sie zu sehen oder mit ihr zu sprechen?«
»Tandy war für eine Reihe Kundinnen und Kunden zuständig. Unser Personal ist vor allem dazu da, den Leuten bei der Registrierung, bei der Auswahl des Dekors fürs Kinderzimmer, bei der Zusammenstellung der Babyausstattung behilflich zu sein.«
»Wie wäre es mit jemandem, mit dem sie vielleicht zusammengearbeitet hat, oder mit einer Kundin oder einem Kunden, deren oder dessen Erwartungen enttäuscht worden sind. Zum Beispiel durch eine Fehlgeburt.«
»So etwas kommt natürlich vor. Spontan fällt mir kein Name ein, aber ich kann in den Kundenlisten nachsehen und mit den anderen Mädchen sprechen. Vielleicht wissen sie ja irgendwas.«
»Das wäre mir eine große Hilfe. Haben Sie je mit ihr über den Vater des Babys gesprochen?«
»Nur ganz allgemein und eher vage. Sie hat keine Details erzählt; da sie anscheinend nicht darüber reden wollte, habe ich sie auch nicht weiter bedrängt.«
»Rufen Sie mich bitte an, falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, selbst wenn es Ihnen unwichtig erscheint. Ich bin Tag und Nacht erreichbar.«
»Das tue ich auf jeden Fall. Wir alle lieben Tandy, wenn wir auf irgendeine Weise helfen können, werden wir das tun.«
Als Nächstes wählte Eve die Nummer von Tandys Hebamme.
»Tillas.«
»Randa Tillas? Hier spricht Lieutenant Dallas.«
»Haben Sie etwas von Tandy gehört?«
»Noch nicht.«
»Ah, verdammt.« Sie war eine ausnehmend attraktive schwarze Frau, deren kaum hörbarer Akzent verriet, dass sie von den Bahamas kam. Ihre ausdrucksvollen, dunklen Augen drückten ehrliche Besorgnis aus. »Ich habe verschiedene Frauen des Geburtsvorbereitungskurses angerufen, weil ich dachte, dass sie vielleicht für ein paar Tage bei einer von ihnen ist. Aber seit Mittwoch hat keine von ihnen mehr etwas von ihr gehört.«
»Hat irgendeine dieser Frauen eine problematische Schwangerschaft?«
»Ich habe eine Frau mit hohem Blutdruck und eine, die liegen muss, aber nichts wirklich Gravierendes.«
»Vielleicht eine der Ausbilderinnen, die nicht schwanger werden kann oder ein Kind verloren hat.«
»Ich frage die Ausbilderinnen nicht nach solchen Dingen, aber für gewöhnlich kommt so etwas irgendwann zur Sprache. Ich würde dann versuchen, zu verhindern, dass eine Frau mit derartigen Problemen diese Arbeit macht. Das wäre nämlich weder für sie selbst noch für die zukünftigen Mütter gut.«
»Hat Tandy jemals über den Vater des Babys gesprochen?«
»Sie hat ein bisschen von ihm erzählt. Es ist wichtig für mich, so viel über die Schwangere zu wissen, wie sie mir erzählen will. Vor allem, wenn sie das Kind allein bekommt und dann auch noch, wie Tandy, keine Familie hat, die sie in dieser Phase ihres Lebens
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