In Liebe und Tod
jemandem gerungen hätte, hätte das auf jeden Fall irgendwer bemerkt. Wir werden ihr Foto rumzeigen, vielleicht hat ja wirklich irgendjemand was gesehen.«
In der Fünften wandte sich Eve nach Norden und lief auf dem zweiten möglichen Weg zurück.
»Wahrscheinlich hat er sie sich in der Querstraße geschnappt. Da sind immer weniger Passanten als in den Hauptstraßen. Er hatte entweder einen Wagen oder ...« Sie hob den Kopf und blickte stirnrunzelnd auf die Apartmentblocks, an denen sie vorüberlief. »... eine Wohnung in der Nähe. Aber da hätte er sie rein bekommen müssen, ohne dass es jemand merkt. Die Vorstellung gefällt mir nicht, trotzdem könnte es so gewesen sein.«
»Und warum hätte sie sich nicht mehr wehren sollen, als sie in einem Fahrzeug saß?«
»Vielleicht war sie ja betäubt oder hatte einfach Angst. Vielleicht waren es mehrere Kidnapper. Oder sie kannte den Entführer und hat sich gefreut, ein bekanntes Gesicht zu sehen und heimgebracht zu werden, nachdem sie den ganzen Tag auf den Beinen war.«
Zurück in der Madison Avenue, sah sie sich suchend um. Die meisten Leute gingen schnell und hatten die Köpfe gesenkt oder starrten vor sich auf den Bürgersteig. Hingen ihren eigenen Gedanken nach, waren in ihre eigenen Welten abgetaucht.
»Es muss jemand gewesen sein, der bereit war, ein gewisses Wagnis einzugehen. Sicher, man kann eine Frau einfach vom Bürgersteig entführen, so etwas kommt vor. Aber er hat sie in einer Nebenstraße abgepasst«, wiederholte sie. »Das ergibt für mich den meisten Sinn, auch wenn der Täter nicht sicher wissen konnte, welche der Querstraßen sie nimmt. Falls er einen Wagen hatte, hat er ihn, selbst wenn er eine freie Parklücke gefunden hätte, bestimmt nicht einfach am Straßenrand geparkt. Nicht, wenn er alleine war. Er hatte ihn vielleicht auf dem Parkplatz abgestellt, der ihrem Arbeitsplatz am nächsten war.«
»Klingt logisch«, stimmte Roarke ihr zu, während er schon seinen Handcomputer aus der Tasche zog. Er drückte ein paar Knöpfe und stellte nickend fest: »Es gibt einen Parkplatz in der Achtundfünfzigsten, zwischen der Madison und der Fifth Avenue.«
»Praktisch, nicht? Dann hätte er sie nur dazu bewegen müssen, dass sie mit ihm ein Stück in Richtung Süden läuft. Komm, sehen wir uns den Platz mal an.«
Sie ging auch diese Strecke ab, wobei sie erneut die logischste Route nahm.
Der Parkplatz war mit einer Schranke und Automaten bestückt, an einem Samstagabend tat dort weder ein menschlicher Angestellter noch ein Droide Dienst.
Es gab Überwachungskameras, aber selbst wenn sie funktionierten, wusste Eve, würden die Disketten alle vierundzwanzig Stunden gelöscht. Trotzdem schrieb sie sich die an dem Kassenhäuschen ausgehängte Nummer auf, unter der der Betreiber des Platzes zu erreichen war.
»Vielleicht haben wir ja Glück«, sagte sie zu Roarke, »und sie haben die Aufnahmen der Kamera am Kassenautomaten oder an der Schranke oder wenigstens die Benutzerprotokolle noch nicht gelöscht. Dann hätten wir die Kreditkartennummern sämtlicher Leute, die am Donnerstagabend zwischen achtzehn und neunzehn Uhr bezahlt haben, oder die Kennzeichen von allen Fahrzeugen, die in diesem Zeitraum von dem Parkplatz heruntergefahren sind.«
Sie vergrub die Hände in den Taschen ihrer Jeans. »Vielleicht hatte der Entführer auch einen Komplizen, der um den Block gefahren ist. Dann finden wir hier nichts.«
Oder der Täter hatte einfach bar bezahlt oder ein gestohlenes Fahrzeug benutzt, überlegte Roarke. Da er wusste, dass Eve selbst auf diesen Gedanken käme, meinte er lediglich: »Wenn sie auf die Art gekidnappt wurde, war die Sache sorgfältig geplant. Glaubst du, es ging speziell um sie?«
»Ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass sie zufällig Opfer einer Entführung wurde, für relativ gering. Jemand kannte ihre Routine, ihre Arbeitszeiten, ihre Wege. Jemand hatte es auf sie und/oder das Baby abgesehen, mit dem sie schwanger ist.«
»Vielleicht der Vater?«, fragte Roarke.
»Der steht ganz oben auf der Liste der Verdächtigen. Auch wenn wir noch gar nicht wissen, wer er ist.«
»Ich würde mir gerne einreden, dass das bedeutet, dass sie und auch das Kind dann halbwegs sicher wären, aber das ist wahrscheinlich totaler Quatsch.« Er versuchte den Gedanken daran abzuschütt^ln, dass sein eigener Vater seine eigene Mutter schwer misshandelt und getötet hatte, und fuhr tonlos fort: »Schließlich habe ich bei Duchas mit eigenen Augen gesehen,
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