In meinem Himmel
Aufführung von
Unsere kleine Stadt
gesehen hatte. Die Lichtkugeln hingen in einem Bogen von einem eisernen Pfosten herab. Ich hatte mich an sie erinnert, weil sie mir, als ich das Stück mit meiner Familie sah, gigantisch erschienen waren, wie schwere Beeren voller Licht. Im Himmel machte ich ein Spiel daraus, mich so zu bewegen, dass mein Schatten Beeren pflückte, während ich nach Hause unterwegs war.
Nachdem ich eines Abends Ruth beobachtet hatte, traf ich mittendrin Franny. Der Platz war verlassen, und vor mir begannen Blätter in einem Strudel herumzuwirbeln. Ich stand da und sah sie an - die Lachfältchen, die sich um Augen und Mund gruppierten.
»Warum zitterst du?«, fragte Franny.
Und obgleich die Luft feucht und kühl war, konnte ich nicht sagen, dass es daran lag.
»Ich muss an meine Mutter denken«, sagte ich.
Franny nahm meine linke Hand in ihre beiden Hände und lächelte.
Ich hätte sie gern leicht auf die Wange geküsst oder mir gewünscht, dass sie mich umarmte, doch stattdessen schaute ich zu, wie sie sich von mir fortbewegte, sah ihr blaues Kleid hinter ihr herschleifen. Ich wusste, dass sie nicht meine Mutter war. Ich konnte nicht so tun, als ob.
Ich drehte mich um und ging zurück zum Pavillon. Ich spürte, wie die feuchte Luft an meinen Beinen und Armen hochzog und ganz sacht die Spitzen meiner Haare anhob. Ich dachte an Spinnweben am Morgen, die kleine Juwelen aus Tau trugen und die ich mit einer leichten Bewegung des Handgelenks ohne nachzudenken zerstört hatte.
Am Morgen meines elften Geburtstags war ich sehr früh aufgewacht. Von den anderen war noch keiner auf, das glaubte ich jedenfalls. Ich schlich nach unten und guckte ins Esszimmer, wo ich meine Geschenke vermutete. Aber da war nichts. Derselbe Tisch wie gestern. Doch als ich mich umdrehte, sah ich es im Wohnzimmer auf dem Schreibtisch meiner Mutter liegen. Auf dem eleganten Schreibtisch mit der stets sauberen Fläche. Den »Schreibtisch zum Rechnungenbezahlen« nannten sie ihn. In Seidenpapier eingewickelt, aber noch nicht verpackt, war eine Kamera - die ich mir mit quengelndem Unterton in der Stimme gewünscht hatte, ganz sicher, dass sie sie mir nicht kaufen würden. Ich ging hinüber und starrte sie an. Es war eine Instamatic, und daneben lagen drei Filme und eine Schachtel mit vier Blitzwürfeln. Es war mein erster Apparat, meine Anfangsausrüstung für das, was ich werden wollte. Tierfotografin.
Ich schaute mich um. Niemand. Durch die Jalousien der vorderen Fenster, deren Lamellen meine Mutter immer schräg stellte - »einladend, aber diskret« -, sah ich, dass Grace Tarking, die ein Stück weiter die Straße entlang wohnte und auf eine Privatschule ging, ihr morgendliches Lauftraining mit an ihren Fesseln befestigten Gewichten absolvierte. Eilig legte ich einen Film in die Kamera ein und begann, mich an Grace Tarking anzupirschen, wie ich mich, so malte ich es mir aus, an wilde Elefanten und Nashörner anpirschen würde, wenn ich älter wäre. Hier versteckte ich mich hinter Jalousien und Fenstern, dort würde es hohes Gras sein. Ich war still, verstohlen, wie ich fand, und raffte den langen Saum meines Flanellnachthemdes mit meiner freien Hand. Ich verfolgte ihre Schritte aus unserem Wohnzimmer in den Flur bis ins Arbeitszimmer auf der anderen Seite. Während ich ihre sich entfernende Gestalt beobachtete, kam mir ein Geistesblitz - ich würde nach hinten in den Garten laufen, wo ich sie ungehindert sehen konnte.
Also rannte ich auf Zehenspitzen durchs Haus und stellte fest, dass die Tür zur Veranda weit offen stand.
Als ich meine Mutter erblickte, vergaß ich Grace Tarking vollkommen. Ich wünschte, ich könnte es besser erklären, doch ich hatte sie noch nie so reglos dasitzen sehen, so sehr
nicht da
irgendwie. Sie saß vor der mit Fliegendraht vergitterten Veranda auf einem Aluminiumklappstuhl, der dem Garten zugewandt war. In der Hand hielt sie eine Untertasse, und auf der Untertasse stand ihre übliche Tasse Kaffee. Heute Morgen waren keine Lippenstiftflecken darauf, weil kein Lippenstift da war, bis sie ihn auftrug... für wen? Es war mir nie in den Sinn gekommen, diese Frage zu stellen. Für meinen Vater? Für uns?
Holiday saß glücklich japsend neben der Vogeltränke, bemerkte mich aber nicht. Er beobachtete meine Mutter. Ihr Blick erstreckte sich ins Unendliche. In diesem Augenblick war sie nicht meine Mutter, sondern etwas von mir Getrenntes. Ich schaute auf jemanden, den ich immer nur als Mom gesehen
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