In meinem kleinen Land
Leipzig und checkte spätabends in einem riesigen Hotel ein, dessen Betten genau sechzig Zentimeter schmal waren. Dafür war viel Platz unter der Zimmertür. Man hätte eine Schachtel Zigaretten durchschieben können. Am nächsten Tag fuhr ich in einen Konsum, um Marktforschung zu betreiben. Und war nicht der Einzige. Vor ungefähr jedem Regal stand irgendein westdeutscher Depp und fragte: «Mögen Sie lieber Hasel- oder Erdnüsse?» «Bügeln Sie mit Stärke oder Wasser?» «Tampons oder Binden?» Die Konsumkunden, deren früher übersichtlich befüllte Geschäfte nun mit bunter Westware vollgestopft waren, gaben sich zwar bemüht und freundlich und fühlten sich auch geehrt, zeigten allerdings nur wenig Neigung, die Fragen erwartungsgemäß zu beantworten. Im Gegenteil. Also was jetzt, Weichheit oder Duft?
«Na ja», gab eine Frau zurück, «weisch soll’s halt sein, deshalb heißt’s ja Weischspüler. Wenn’s frisch sein sollte, würde es ja Frischspüler heißen, ne wahr?»
Nachdem ich ungefähr fünfzig Leipzigern meinen Fragenkatalog unter die Nase gehalten hatte und dabei zu dem Schluss gekommen war, dass diese Leute zwar für Revolutionen, nicht aber für die freie Marktwirtschaft in Frage kamen, sah ich mir die Stadt an.
Leipzig war damals ein von Zweitaktabgasen und Kohleruß ziemlich angeschwärzter Steinhaufen, dem man nur an wenigen Stellen ansah, einmal eine beeindruckende Metropole gewesen zu sein. Ich durchschritt die berühmte und schon damals überraschend schöne Mädler-Passage und landete nach alter Touristenart in «Auerbachs Keller». Dort aß ich eine schwierige Portion sehr intensiv gekochten Fleisches mit Erbsen und Möhren, die mir von einem Kellner mit dem Wort «Da!» vorgesetzt worden war. Ich fuhr wieder nach Hause und gab der deutschen Wiedervereinigung keine große Chance.
Letztlich ist aber dann doch alles gut geworden. Die Bewohner von Leipzig können inzwischen unter vierhundert Handytarifen, mehreren Dutzend Sorten Speiseeis und bis zu sieben politischen Parteien wählen und machen alles in allem einen zufriedenen Eindruck, wenn man mal davon absieht, dass knapp zwanzig Prozent der Leipziger arbeitslos sind und deshalb zwar zwischen vierhundert Handytarifen wählen, diese jedoch nicht bezahlen können. Aber das wird schon. Eines Tages. Vielleicht. Symbolisch wurde das schicke neue Leipziger Zentralstadion zur WM-Arena erklärt. Ein anständiger Akt der Solidarität, denn Sachsen Leipzig, die Hausherren des Stadions, spielen in der Oberliga.
Vom Flughafen geht es gleich zum neuen, sehr schicken Messegelände. Es gab früher auch schon eine Leipziger Messe, von der man einmal pro Jahr etwas in den Nachrichten sah. In der Regel wurde Erich Honecker mit Werktätigen vor einer Turbine oder einem Robotron Poly-Computer 880 gezeigt.
Die Buchmesse in Leipzig ist viel kleiner, soll aber angenehmer sein als die in Frankfurt/Main, raunt man mir zu. Es seien mehr Leser da, weniger Kaufleute, die Stimmung sei insgesamt relaxter. Na ja, mal sehen. Auf dem Stand meines Verlages gibt es eine sehr reichhaltige Auswahl an Süßigkeiten und herzhaften Snacks . Keine Frage: Dem Verlag geht es gut.
Abends dann eine ernste Angelegenheit. Podiumsdiskussion im Kuppelbau der Leipziger Volkszeitung. Das schreckt mich prinzipiell nicht, allerdings deutet die Gästeliste darauf hin, dass hier heute Abend Wichtiges erörtert wird. Eingeladen sind: der Leipziger Großschriftsteller Erich Loest. Der Theologe und Publizist Friedrich Schorlemmer. Der Feuilletonist und Schriftsteller Fritz J. Raddatz. Und, äh: ich. Was ich zwischen denen genau verloren habe, wird mir nicht ganz klar, aber irgendwer wird sich dabei schon etwas gedacht haben. Backstage schüttelt man Hände, stellt sich vor und nimmt schon einmal Maß. Herr Schorlemmer erweist sich als ausgesprochen fußballinteressiert und plaudert enorm komisch und freundlich. Der rustikal sächsisch knatternde Loest fragt Raddatz, was eigentlich das J. in dessen Name zu bedeuten habe, und Schorlemmer ruft: «Jaguar.» Raddatz lüftet das Geheimnis nicht, beeindruckt aber alle mit seiner gutausgedachten Garderobe. Seine Strümpfe passen perfekt zur Krawatte. Von sehr nahe betrachtet hat er, aber nur im Profil, eine gewisse Ähnlichkeit mit James Last. Ich vermute jedoch, dass er nicht weiß, wer das ist.
Auf der Bühne wird schnell klar, warum wir eingeladen wurden: Es geht irgendwie um Begegnungen und um Fußball. Sowohl Loest als auch ich haben
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