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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Abitur gemacht.
    Die Veranstaltung ist gut besucht, und zunächst läuft alles ganz anständig. Wir unterhalten uns, ich lese, dann unterhalten wir uns wieder, das Publikum hat seinen Spaß. Ich schwitze furchtbar. Das ist das Fieber. Meine Stimme macht nicht mit, ich muss husten, krächze mich durch das letzte Kapitel. Ich glaube, das Ganze war ein Fehler. Aber wenigstens ein schöner Fehler.

Essen. Das musste ja so kommen
    28. März 2006
    38,7 Grad Fieber. Schüttelfrost. Schrecklicher Flug nach Hause. Lesung in Essen abgesagt. Wird im Herbst nachgeholt. Es tut mir leid. Jetzt Urlaub. Dann Ostern. Und Hoffnung auf Frühling, Sonne, Wärme.

Kiel. Kennen Sie den weißen Pfeil?
    24. April 2006
    Landeshauptstadt ganz da oben. Ich fliege nach Hamburg und nehme abenteuerlustig einen Bus. Es fährt auch ein Zug nach Kiel, aber auf Züge habe ich gerade keine Lust. Also Bus. Sieben Leute sitzen drin und ein missgelaunter Fahrer, der auf der A7 sein Mütchen an LKWs kühlt, die er schneidet, nachdem er sie überholt hat. Der Bus hält nur einmal an, nämlich in Neumünster, das ist kurz vor Kiel, und es gibt augenscheinlich keinen Grund, dort anzuhalten. Eigentlich gibt es sogar keinen Grund, Neumünster überhaupt zu erwähnen. Alles, was man über den Ort sagen könnte, macht schlechte Laune. Also sage ich nichts.

    In Kiel steige ich ins Taxi um und lasse mich ins «Parkhotel» fahren. Man passiert dabei die Staatskanzlei. Dort war ich vor vielen Jahren schon einmal, um die damalige Ministerpräsidentin Heide Simonis zu interviewen. Ich habe sie als sehr charmante und integre Frau in Erinnerung. Sie war auch bei den Bürgern sehr beliebt.
    Momentan muss sie tanzen. Tanzen in der Fernseh-Vorhölle von RTL. Zu ihrem eigenen Erstaunen nimmt die Tanzerei aber kein Ende, obwohl offensichtlich ist, dass sie nicht dazu geboren ist, von einem muskulösen Herrn öffentlich übers Parkett gezerrt zu werden. Um Klarheit darüber zu gewinnen, warum sich dieses Martyrium derart in die Länge zieht, muss man sich noch einmal das politische Ende von Frau Simonis in Erinnerung rufen. Sie hatte denkbar knapp die Landtagswahlen gewonnen und sollte nun von den Abgeordneten des schleswig-holsteinischen Parlaments zur Ministerpräsidentin gewählt werden. Und da hat einer aus der eigenen Partei nicht mitgezogen und gegen die eigene Kandidatin votiert. Man wiederholte die Wahl. Und wiederholte sie abermals. Und dann gab Heide Simonis auf. Dass sie nun wochenlang tanzen muss, hat meiner festen Überzeugung nach bloß einen Grund: Diejenigen, die sie damals nicht gewählt haben, rufen pausenlos bei RTL an, und deshalb muss Heide Simonis tanzen, tanzen, tanzen.
    Ich stehe an der Rezeption des Hotels. Ob ich auch wegen des «Weißen Pfeiles» in Kiel sei, raunt der junge Mann hinterm Tresen mir zu. «Nein», raune ich zurück.

    Danach das übliche Procedere. Duschen, umziehen, Manuskript einpacken, nachsehen, ob alles an seinem Platz ist, Taxi bestellen. Lesung in der Kieler Kunsthalle, die nur recht mühsam befriedigend zu beschallen ist.
    Anschließend noch mit dem Buchhändler und seinen Leuten auf einen Wein. Wollte ich auch nicht mehr machen, weil ich keinen Alkohol vertrage. Seit ungefähr einem Jahr geht das so. Ich fühle mich wie Alex aus «Uhrwerk Orange» nach seiner Gehirnwäsche. Ich habe früher gerne und viel getrunken, aber das klappt nicht mehr. Schon geringe Mengen Wein oder Bier – eigentlich ist es ganz egal, was ich trinke – verursachen bei mir grässliche Kopfschmerzen.

    Zum Frühstück lese ich die Kieler Lokalzeitung. Da steht, dass sich die Prominenz ein Stelldichein gegeben habe. Edzard Reuter sei da gewesen. Und der KYC-Commodore Otto Schlenzka. Dieter-Thomas Heck und sein Adoptivsohn Guido Westerwelle. Und die Frau unseres Bundespräsidenten. Sie alle waren wegen des «Weißen Pfeils» da. Frau Köhler hat ihn getauft. Es handelt sich dabei übrigens um ein Schiff.
    Dann fahre ich zum Bahnhof und passiere dabei eine eindrucksvolle Fähre. Ein wahrhaft gigantisches Ding. Der Taxifahrer behauptet, das sei die größte Fähre der Welt, aber so was sagen Taxifahrer ja immer. Jedenfalls will ich mir das Ding ansehen. Ich schließe das Gepäck ein, spaziere über eine Holzbrücke und verlaufe mich ein wenig. Schließlich lande ich auf einem Platz, wo nur dünne Junkies und dicke Angler sind. Irgendwie passen die gut zusammen. Ich blicke auf die hinter Zäunen und Mauern unerreichbar entfernte, überirdische Fähre

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