In meinem kleinen Land
und höre die Junkies jammern. Einer sagt: «Ich war schon lang nich mehr bein Arzt.» Und der andere antwortet: «Mich ham sie bein letzten Mol da furchtbar in’n Arsch gefickt.»
Ein dicker Angler wirft seine Rute aus. Frau Köhler sitzt im Fond und blättert Zeitungen durch. Frau Simonis übt Samba. Ich atme verkatert die Luft der Kieler Förde ein. So hat jeder seinen Platz auf der Welt.
Oldenburg. Familie Pacholke ist glücklich
25. April 2006
Oldenburg liegt kurz vor dem Ende der Welt. Dahinter kommen bloß noch Emden, Leer und Aurich. In meiner Kindheit war diese Gegend in aller Munde. Damals wurden über die Ostfriesen scheele Witze gemacht. Sie galten als hinterwäldlerisch, grobschlächtig und von inzestuösem Aussehen. Damals nannte man sie «Ossis». Nach der Wende wurde dieser Kosename aber nicht mehr auf die Ostfriesen angewendet, und man machte auch keine Witze mehr über sie. Man meinte, ein großes Reservoir neuer hinterwäldlerischer, grobschlächtiger und inzestuöser oder wenigstens zwanghaft nudistischer Witzopfer hinter dem Todesstreifen entdeckt zu haben. Die Ostfriesen gerieten darüber ein wenig in Vergessenheit.
Das Tor zu Ostfriesland ist Oldenburg. Es liegt gleich neben dem durch die Kirmeströte Sarah Connor zu traurigem Ruhm gekommenen Delmenhorst.
Vom Krieg weitgehend verschont, kann dieser Ort mit einer sehr schönen Altstadt auftrumpfen, wo es noch Traditionsgeschäfte gibt. In Oldenburg sind vielfach die Ladenflächen zu klein für große Filialisten. Doch Unheil naht. Was der Zweite Weltkrieg nicht geschafft hat, nämlich die Zerstörung der Innenstadt und deren anschließende Verkarstung, könnte nun der Stadtplanung gelingen. Man will, wie vielerorts schon geschehen, eine gewaltige Einkaufsmall in Oldenburg platzieren, so einen Hammerkasten, in dem die Leute dann endlich den ganzen normierten Mist, den sie nicht brauchen, an einem einzigen Ort bekommen können. Es ist ein Trauerspiel. Den Einzelhändlern von Oldenburg wird als Argument vorgegaukelt, so ein Center würde Kunden in die Innenstadt locken, und jeder hätte etwas davon. Bald findet eine letzte Stadtratssitzung zu dem Thema statt.
Bis auf weiteres stellt Oldenburg aber eine schöne Alternative dar, wenn mal jemand Lust auf einen Tapetenwechsel hat. Bremen ist nicht weit, das Umland voller Kühe und die See nah. Gut, der Name der Stadt klingt ein bisschen provinziell. Dafür gibt es aber viele Studenten, die Stromkästen mit buntem Quatsch vollkleben. Immer Anzeichen einer gewissen Lebensqualität.
Ich esse im «Café Florian», das mich mit der Ankündigung «Bismarck-Hering» auf der Tagestafel geködert hat. Meine Bestellung («einmal Bismarck-Hering») löst bei der Kellnerin allerdings Befremden aus. Man ist nicht auf Leute eingestellt, die Bismarck-Hering essen wollen. Ich sage: «Aber draußen steht das an der Tafel.» Und sie antwortet: «Ach soooo, da. Nee, das ist alt. Das gibt’s nich mehr.» Ich esse also Wok-Gemüse und wundere mich, dass ich mich nicht aufrege.
Es gibt recht viele Lokale von ähnlicher Art in Oldenburg. Außerdem hat Oldenburg: viele Beamte, viele Buchhandlungen, eine recht hübsche Bahnhofshalle, kurze Wege und das Theaterlaboratorium, ein winziges Puppentheaterchen mit hundertfünfzig Plätzen, wo ich heute zu Gast bin.
Zum Frühstück lese ich gerne Lokalzeitungen, denn die bilden ab, was tatsächlich in unserem Land geschieht und die Deutschen wirklich bewegt. Die großen Magazine, Zeitungen und Fernsehsender hingegen verbreiten eine künstliche Realität, die wenig mit den Menschen zu tun hat.
Schlagzeile in der «Nordwest-Zeitung»: «Lecker: Spargel aus Oldenburg ist da.» Das Highlight aller Lokalzeitungen sind die Gratulationsgedichte von Lesern für Verwandte. Unter dem Bild eines blonden Burschen mit Topfschnitt und Goldkettchen findet der begeisterte Leser folgendes Juwel deutscher Dichtkunst mit dem Titel «18 Patrick»:
Kein Blick heut
In den Motorraum.
Er muss auch nicht
Auf seine Trommel hauen.
Gern möchte er sich
Einen Porsche kaufen.
Wir werden aber all
Sein Geld versaufen.
Aber eines möchten wir
Sagen:
Wir sind froh das wir ihn
Haben!
Außerdem verkündet das Ehepaar Pacholke die Geburt von Clara Sophie Pacholke. Und das Ehepaar Küper dankt für die Blumen und Geschenke anlässlich seiner goldenen Hochzeit sowie «dem Team des Hotel Hornbüssel für die gute Bewirtung».
Alles in allem ein guter neuer, normaler und sonniger Tag in Oldenburg. Heute,
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