In meinem kleinen Land
meines Wintermantels befinden. Und dieser hängt zu Hause in der Garderobe. Ich habe ungefähr zwanzig Euro in der Hosentasche. Das ist zu wenig für drei Tage Leipzig und einen in Darmstadt. Und mein Ticket bekomme ich auf diese Weise auch nicht.
Ich stelle mich an einem Schalter der Lufthansa an, nenne mein Flugziel und die Abflugzeit. Die Dame vom Bodenpersonal bestätigt die Daten und bittet um meinen Ausweis, damit sie mir die Bordkarte aushändigen kann. Ich habe keinen Personalausweis. Führerschein? Nein, leider. Reisepass? Videothekenausweis? Fitnessclubkarte? Nein, nein, nein. Irgendwas mit einem Bild von mir? Ich bedauere. Sie auch, aber ohne irgendeinen Nachweis meiner Identität könne sie mich nicht mitfliegen lassen, dafür müsse ich Verständnis haben. Sie hat ja recht. Verzweiflung. Und da kommt mir der rettende Einfall. Das Buch! Ich habe doch das Buch dabei.
Später am Tag soll ich aus dem Buch vorlesen, das Hans Traxler und ich gemeinsam gemacht haben. Und hintendrin sind Fotos von uns. Ich schwöre, dass ich so etwas Schreckliches nie mehr machen werde. Es ist so entsetzlich peinlich, aber ich nehme das Buch aus meiner Tasche, schlage die letzte Seite auf und halte sie der Frau vor die Nase. «Hier. Bitte schön. Das bin ich, sehen Sie?» Sie schaut sich das Bild an, dann mich. Und sagt eher amüsiert als überzeugt: «Zweifellos, das sind Sie.» Sie drückt eine Taste, die Bordkarte kommt aus dem Drucker. Sie hält mir das Ticket hin, und ich schenke ihr das Buch, zum Dank. Lektion für heute: Bei der Lufthansa benötigt man zum Einchecken einen amtlichen Ausweis – oder ein selbstgeschriebenes Buch.
In Leipzig ist es natürlich: kalt. In der Innenstadt hat man aufgeräumt, frischen Granit an die Fassaden geklebt, Banken und Handygeschäfte eröffnet. Leipzig ist eine glanzvolle Metropole. Das Völkerschlachtdenkmal, na, hör mal, sollte mal besucht werden. Oder? Warum eigentlich? Vielleicht gibt es auch Wichtigeres. Die Nikolaikirche zum Beispiel. Die kannten wir im Westen aus den Nachrichten. Es marschierten die DDR-Bürger vor dieser Nikolaikirche herum und riefen: «Wir sind das Volk.» Etwa zu dieser Zeit entstanden überall in Westdeutschland Containerbauten, in denen die geflohenen DDR-Bürger untergebracht wurden. Auf einen dieser Container in Düsseldorf hatten grobe Witzbolde damals «Hier wohnt das Volk» gesprüht.
Aufbruchstimmung herrschte im Land, man wurde augenblicklich auf Jahre hinaus unschlagbarer Weltmeister, und die Werbeagentur, in der ich damals arbeitete, dachte nur noch daran, wie man den Menschen drüben im Osten die vielfältigen qualitativen Vorteile der tollen Westprodukte näherbringen konnte. Ganz schwierige Aufgabe, hieß es damals ständig. Häufig war die Rede davon, dass man für die da drüben ganz andere Werbung machen müsste, denn die wüssten ja nichts von porentiefer Reinheit und spiegelndem Glanz und Pflanzengranulat. Die hatten doch nix, die da drüben. Denen musste man ja alles erst beibringen.
Es ging die Gruselsage, dass die DDR-Kunden beispielsweise ein Produkt wie HANUTA ablehnten, weil es ihnen zu hausgemacht aussah, zu unvollkommen. So etwas Krummes und Schiefes hätten sie womöglich im Süßwarenkombinat Eberswalde auch noch hinbekommen, wenn auch nicht mit Schokolade, sondern mit Erbsenpüree. Lieber griffen die Damen und Herren im Beitrittsgebiet, so wurde jedenfalls behauptet, zu dem glatten und industriell perfekt gefertigten KNOPPERS.
Waschmittelhersteller, erzählte man sich, frohlockten und verbuchten malerische Umsätze, denn die Käufer zwischen Sassnitz und Zittau dosierten das konzentrierte Waschmittel falsch, nämlich viel zu hoch, was zu einer gewissen Mehrbelastung der Gewässer mit Tensiden und vor allem zu einem erfreulichen Umsatzwachstum führte. Baumärkte schossen wie Pilze aus dem Boden und verkauften Millionen von furnierten Türen an modernisierungswütige Hausbesitzer, die ihre schönen Kassettentüren auf den Müll warfen, weil sie endlich, endlich mal was Neues wollten. Und ich wurde nach Leipzig geschickt, um dem ostdeutschen Endverbraucher mit einem Fragebogen zu Leibe zu rücken.
Den Fragebogen hatte ich selber entworfen. Er enthielt im Namen eines Herstellers von Weichspüler brisante Fragen wie zum Beispiel: «Was ist Ihnen wichtiger: Weichheit oder Duft?» Oder: «Wie riecht dieser Pullover: Frisch? Nach Frühling? Sauber? Nichts von allem?» Mit dem Fragebogen und einigen Warenproben fuhr ich nach
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