In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
Moment wurde Cunrat, der fasziniert das Schauspiel verfolgte, von jemandem in die Seite gestoßen.
»Cunrat!«
»Gretli!«
Mit ihren langen, roten Haaren stand sie neben ihm, ohne Haube, in einen schwarzen Wollmantel gehüllt.
»Ist der kleine Franz nicht ein schönes Kind?«
»Wer?«
»Das Jesuskind. Der kleine Franz Tettikover!«
Cunrat war so in das Spiel vertieft gewesen, dass er einfach das Christuskind gesehen und gar nicht daran gedacht hatte, dass dies ein Menschenkind war mit einem menschlichen Namen. Fast war er ein wenig enttäuscht, dass sie ihn der Illusion beraubt hatte. Aber dann dachte er nur noch daran, wie selig er war, sie wieder zu sehen.
»Ja, ein wunderschönes Kind. Gretli, wo bist du nur gewesen? Was ist dir geschehen? Ich hab dich überall gesucht!«
»Ach, Cunrat, ich weiß, Schwester Elsbeth hat es mir gesagt, als ich sie beim Krämer getroffen habe.« Und dann, als ob sie ihm eine Neuigkeit mitteilte: »Ich bin nicht mehr bei den Mäntellerinnen.«
Er lächelte. »Ich weiß.«
Und nun bedauerte er nur noch ein kleines bisschen, dass man sie dort weggeschickt hatte. Wegen der Schande, die es für sie bedeutet haben musste. Das tat ihm leid. Aber dass sie jetzt hier war, anstatt im Spital, das tat ihm nicht leid.
»Wo wohnst du denn jetzt?«
Doch in diesem Moment hatten Maria und Joseph ihre Zwiesprache über das neugeborene Kind beendet, und die Tür der Sakristei ging erneut auf. Die Hirten waren an der Reihe. Ein ganzer Trupp von ihnen kam – begleitet von Schafen und Ziegen – ins Seitenschiff, sodass die Gläubigen erneut eine Gasse bilden mussten. Cunrat umschloss Gretli rasch mit seinem Mantel und seinen Armen, um sie vor der zurückdrängenden Masse in Sicherheit zu bringen. Sie ließ ihn gewähren.
Die Hirten gingen bis zum Ende des Seitenschiffes, von dort ins Mittelschiff, und hier, im Westteil der Kirche, kam ihnen der Engel entgegen, der das Jesuskind gebracht hatte, um ihnen die frohe Botschaft zu verkündigen. Die hatte Cunrat nun aber schon vernommen, und so gab es für ihn Wichtigeres zu erfahren.
»Gretli, sag mir doch, wo du wohnst!«
Sie sah zu ihm hoch und er zog sie hinter den Altarflügel, damit die Umstehenden von ihrer Unterhaltung nicht gestört wurden. Die Heilige Margarethe schaute freundlich auf sie herab.
»Ich bin bei Heinrich Tettikover untergekommen. Seine Frau hat ihr drittes Kind geboren, und schon bei den ersten zwei hatte ich, als Mäntellerin, die Pflege übernommen. Sie ist eine gute Frau, und sie war gleich einverstanden, dass ich ihr wieder beistehe im Kindbett. Darum bin ich heute auch hier, mit Fränzli, sie selber war noch zu schwach. Den Mäntellerinnen war es natürlich nicht recht, dass ich dort ohne ihr Habit arbeiten kann, aber gegen den Tettikover trauen sie sich nichts zu sagen, und auch Bäckermeister Katz wird seinen Mund halten.«
»Und wo finde ich dich?«
»Dort, im Hause der Tettikovers, im Hohen Haus am Fischmarkt.« Sie stockte einen Moment, dann sah sie ihm in die Augen und sagte mit fester Stimme: »Cunrat, es macht mir nichts mehr aus, dass ich von den Mäntellerinnen fortgehen musste.«
»Ach, Gretli!«
Plötzlich war eine große Klarheit in ihm, er beugte sich zu ihr hinab, berührte mit seinen Lippen zärtlich ihren Mund, und seine Zunge stockte nicht und fand ihren Weg, und seine Hände stockten nicht und fanden ihren Weg, über ihre Wangen, ihr rotes Haar, ihren Nacken, und nach einer langen Zeit öffnete Cunrat wieder seine Augen, da lag ihr Kopf schwer in seiner Hand und ihre Augen blickten ihn ernst und strahlend an. »Mein Herzenslieb!«, flüsterte er und drückte vorsichtig seine Wange an die ihre. Unter dem Mantel schmiegte sie ihren Körper fest an den seinen, während um sie herum die Menschen mit den Hirten feixten und lachten, die nun zur Krippe gingen, um dem Jesuskind ihre Geschenke zu bringen. Dabei schlich wohl eine neugierige Ziege zu dicht an den kleinen Jesus heran, denn plötzlich begann das göttliche Kind ganz menschlich zu schreien. Sofort drehte sich Gretli um und drängte hinter dem Altarflügel hervor.
»Franz, Fränzli!« Und zu Cunrat gewandt: »Sie haben ihn erschreckt!«
Maria versuchte verzweifelt, den Kleinen wieder zur Ruhe zu bringen, aber es dauerte eine unendliche Weile, in der Cunrat glaubte, Gretli werde davonlaufen, bis es der Gottesmutter schließlich gelang, den widerspenstigen Erlöser zu beruhigen. Einige Frauen aus der Menge fauchten die Hirten an: »Ihr
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