In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
so sehnsüchtig erwartet in jener Nacht wie der Sohn Gottes. Es waren die nämlichen Männer, die den Baldachin für Papst Johannes getragen hatten, welche nun auch Sigismund zu Diensten waren: der Bürgermeister, der Ammann, der Vogt und einer der Ratsherren. Als Begleiter gingen dem König zwei Kurfürsten mit Zepter, Reichsapfel und Reichsschwert voraus, während hinter ihm sein persönlicher Leibwächter, der Spataferarius, marschierte. Ich muss gestehen, dass ich von des Königs Erscheinung beeindruckt war. Er ist ein stattlicher Mann mit einem langen Bart, der früher wohl rötlich war, inzwischen jedoch vom Alter grau geworden ist, was ihm einen Ausdruck von Würde und Weisheit verleiht.
Unter dem zweiten Baldachin betrat Königin Barbara das Münster. Die Träger waren vier Costentzer Patrizier, die ich vor Kurzem bei einem Bankett kennengelernt habe, Conradus Mangolt, Caspar Gumpost, Conradus in der Bünd und Heinrich von Tettikoven. Vor allem der Letztere ist ein für hiesige Verhältnisse sehr gebildeter Mann, mit dem ich an jenem Bankett-Abend ein interessantes Gespräch geführt hatte.
Die Königin trug ein prächtiges Kleid und einen hermelinbesetzten Purpurmantel mit einer langen Schleppe. Im Lichte der vielen Kerzen sah man trotz der Anzeichen von Müdigkeit deutlich ihre Jugend – sie ist ja nur halb so alt wie Sigismund – und ihre Schönheit. Manches Gerücht über ihr eheliches Betragen in seiner Abwesenheit wurde bei diesem Anblick begreiflich, und für einen Augenblick vergaß ich sogar meine vom Frost geschwollenen Füße. Mit Barbara kamen, ebenfalls reich gekleidet, ihre Schwester Anna sowie die Nichte Sigismunds, Elisabeth von Württemberg.
Nach den Fürsten und ihrem Gefolge drängten auch die Costentzer in die Kirche. Die Patrizier und hohen Zünftler wurden noch eingelassen, aber danach war der Kirchenraum bereits überfüllt, und das Volk wurde von den Ordnern mit Stangen zurückgehalten.
Als alle im Münster Platz genommen hatten, begannen die Begrüßungszeremonien zwischen König und Papst. Du kannst Dir vorstellen, mein lieber Niccolò, dass diese, bei all den vorausgegangenen Schwierigkeiten zwischen den beiden Fürsten, sehr umständlich und langwierig ausfielen. Ich will Dir nicht schildern, wie viel Zeit allein die fünf zeremoniellen Küsse in Anspruch nahmen, Handkuss, Fußkuss und Mundkuss zwischen König und Papst sowie Handkuss und Fußkuss der Königin. Bis sich alle gesetzt hatten und bereit waren für die Matutin, waren wir in der fünften Stunde des Weihnachtstages angekommen. Endlich war die Kirche hell erleuchtet und der letzte Kardinal aus dem Schlaf erwacht, sodass die Gottesdienste beginnen konnten.
Auf die Matutin folgte die erste Weihnachtsmesse. Während die Königin sich auf einem eigens für sie herbeigeschafften Thronsessel niederließ, gab der König den Messdiener für den Papst. Auf dem Altar waren alle Heiltümer des Bischofs, die goldenen Reliquiare, Schreine, Kelche und Monstranzen aufgestellt, und als es zur Lesung des Weihnachtsevangeliums nach Lukas ›Factum est autem in diebus illis, exiit edictum a Caesare Augusto, etc.‹ kam, stieg der König selbst auf die Kanzel und verlas den Text, der mit dem Edikt des Kaisers Augustus beginnt. Wenn Du mich fragst, hat Sigismund uns alle so lange in der Kälte warten lassen, nur um diese Worte zu sprechen und damit den Kaiser Augustus zu mimen. So glaubt er wohl, seinen Anspruch auf den Kaiserthron vor aller Welt deutlich machen zu können!
Nach der Ersten Messe kamen die Laudes, die sich bis gegen acht hinzogen, dann kam die Zweite Messe, danach wurden Prim, Terz und Sext gesungen, bevor schließlich die Dritte Messe, das feierliche Hochamt, begann. Gegen die elfte Stunde war auch dieses beendet.
Ich weiß nicht, wie oft ich während der ganzen Gottesdienste eingenickt und dann wieder aufgeschreckt bin, wenn plötzlich die Chorherren mit ihrem Gesang einsetzten oder gar Trompeten durch das Kirchenschiff schmetterten. Vor allem hatte ich aber Mitleid mit der Königin und ihren Damen, die – dem schwächlichen Naturell der Frauen gemäß – noch viel mehr unter diesen Strapazen leiden mussten. Manchmal hatte ich fast den Eindruck, dass sie einer Ohnmacht nahe waren, aber wahrscheinlich waren sie nur kurz eingeschlafen.
Meine Füße waren anschließend voller Frostbeulen, die schmerzten, als ich sie endlich in warmem Wasser baden konnte, und die mich heute noch jucken, sodass ich Mühe habe,
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