In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
Krämerbuden hindurch, Cunrat voraus und Gretli an seiner Hand hinterdrein. Die Nacht war so neblig, wie es der Tag gewesen war, den Mond konnte man nur als fahlen Schimmer hinter dem Hochnebelgrau erkennen, und er leuchtete ihnen nicht wirklich heim. Immerhin war es auf dem Platz beim Münster so hell, dass die hohen Schatten der Kirchtürme sich schwarz vor dem Himmel abzeichneten, doch als die beiden bei St. Stephan in die Fischmarktgasse einbogen, wurde es zwischen den Häuserreihen wieder vollkommen finster.
Cunrat ging fast taumelnd unter den Arkaden entlang, sich von Säule zu Säule hangelnd, Gretli im Schlepptau, als er plötzlich von der Seite eine Bewegung wahrnahm. Bevor er erkannte, wer sich im Dunkel des Laubengangs verborgen hielt, bekam er einen Schlag an den Kopf. Er hörte noch, wie Gretli aufschrie, dann wurde es schwarz um ihn, schwärzer als die Nacht unter den Lauben.
Diesmal wachte Cunrat nicht im Spital auf. Er kam rasch wieder zu sich und stellte fest, dass er immer noch dort lag, wo er zu Boden gegangen war: unter den Arkaden gegenüber vom Hohen Haus. Immerhin war Gretli da, als sein Bewusstsein zurückkehrte.
»Cunrat, mein Liebster, Cunrat, wach auf!«, jammerte sie und tätschelte ihm die Wangen. Dann hörte er Männerstimmen.
»Was ist hier los?«, rief einer, und der Kopf eines Nachtwächters tauchte im Fackelschein vor Cunrats Nase auf. Der Mann half ihm auf die Beine. Sein Kopf schmerzte, und als er die Stelle befühlte, wo er getroffen worden war, spürte er etwas Feuchtes.
»Du blutest ja!«, rief Gretli entsetzt. Im flackernden Licht sah nun auch Cunrat, das seine Hand voll Blut war. Das Mädchen zog rasch ein großes, sauberes Schneuztuch aus seinem Kleid und drückte es Cunrat auf die Wunde.
»Das ist doch der lange Cunrat!«, stellte einer der Gassenwächter fest, ein Stammgast der Haue . »Was ist denn passiert?«
»Wir sind überfallen worden!«, klagte Gretli.
»Und habt ihr die Übeltäter erkannt?«
»Ich nicht!«, stöhnte Cunrat, noch immer ganz benommen.
»Ich auch nicht, aber«, und plötzlich wurde Gretlis Stimme hart, »ich habe ihm das Gesicht zerkratzt, diesem Unhold! Daraufhin ist er geflüchtet. Er wird noch lang an meine Krallen denken!«
Cunrat wunderte sich über diese neue Seite an seinem sanften Mädchen. Mit bloßen Händen hatte sie den Gewalttäter in die Flucht gejagt! Wer weiß, was der sonst mit ihm oder gar mit ihr angestellt hätte!
Cunrat und die Gassenwächter begleiteten sie nun gemeinsam bis zum großen Eingangstor des Hohen Hauses in der Fischmarktstraße. Im Piano Nobile im ersten Stock flackerte noch Licht, und auf ihr Klopfen wurde das schwere Holztor von einem Bediensteten geöffnet, der ihr besorgt zuflüsterte, dass die Herrin schon besorgt auf sie warte. Gretli drückte Cunrat noch einmal kräftig die Hand, dann schloss sich das Tor hinter ihr.
»Sollen wir dich auch heimbegleiten, langer Cunrat?«, fragten ihn die Wächter, aber er lehnte ab. Er würde schon allein zurechtkommen.
»Dann nimm wenigstens die Fackel!«, beschwor ihn einer, und dieses Angebot schlug er nicht aus. Mit dem Licht ging er rasch durch die kalte, düstere Stadt zurück in die Niederburg. Noch lange lag er wach, lauschte dem Schnarchen seiner Genossen und grübelte darüber nach, wer ihn wohl überfallen hatte und warum. Ob der Papstsekretär damit zu tun hatte?
*
Poggio Bracciolini an Niccolò Niccoli, am 14. Januarius, im Jahre des Herrn 1415
Ich, Poggio, entbiete Dir, meinem Niccolò, einen herzlichen Gruß!
So viele Dinge sind in den letzten Tagen geschehen, mein Freund, und das Rad der Fortuna scheint sich für unseren Papst Johannes und damit für uns alle nach unten zu drehen!
In dieser Woche ist die spanische Delegation mit den Gesandten des Häretikers Petrus de Luna, der sich Papst Benedikt XIII. nennt, hier eingetroffen, und Sigismund hat nichts dagegen unternommen, ja, er hat De Lunas Männer vor zwei Tagen sogar als offizielle Abgesandte eines Papstes empfangen! Jetzt werden plötzlich an Mauern und Kirchentoren Flugschriften angeschlagen, auf Latein und in der Volkssprache, die fordern, dass zur Erlangung der Einheit der Kirche auch Johannes zurücktreten soll!
Einer, der in dieser Sache Haken schlägt wie ein Hase, ist Pierre D’Ailly, der Kardinal von Cambrai. Nach seinem ungeheuerlichen Antrag vom Dezember, in dem er die Vorrangstellung des Papstes in Zweifel gezogen hatte, ließ Johannes ihm die Redefreiheit entziehen.
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