In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
nächsten Morgen vor ihrem Verkaufstisch am Stephansplatz, sondern Poggio Bracciolini. Cunrat machte eine Verbeugung und beobachtete den Italiener aus den Augenwinkeln, während dieser in gedämpftem Tonfall mit Giovanni sprach. Hatte der vornehme Papstsekretär doch etwas mit dem Überfall zu tun? Andererseits, warum hätte er ihn aus dem Gefängnis holen sollen, wenn er ihm Böses wollte?
Schließlich wandte sich Giovanni an Cunrat und übersetzte ihm, dass Bracciolini am Samstagabend nicht gekommen sei, weil er zu viel Arbeit gehabt habe. Aber nun hatte er von dem Überfall gehört, womit seine Befürchtungen bestätigt worden seien, und so wolle er sich die Zeit nehmen, ihnen bei der Suche nach dem Bösewicht zu helfen. Nach ihrer Verabredung sollte Bracciolini ja den jüdischen Arzt aufsuchen, um von ihm zu hören, was er dem Vogt über die Toten erzählt hatte. Allerdings wusste der Italiener nicht, wo Meister Ismael wohnte.
»Cunrat«, flüsterte Giovanni, weil eine alte Frau ihre Ohren spitzte und vor Lauschen beinahe vergaß, ihre Pastete mitzunehmen, »du weißt doch, wo der Arzt wohnt, du hast ja den Vogt bei ihm gesehen.«
Cunrat versuchte, Poggio den Weg in die Sammlungsgasse zu erklären, doch der winkte angesichts des für ihn unverständlichen Kauderwelschs und der verschiedenen Straßennamen rasch ab und erklärte Giovanni, dass er ohnehin nicht jetzt am helllichten Tag seine Mission erfüllen wolle. Cunrat solle ihn am darauffolgenden Abend zu Meister Ismael bringen. Sie vereinbarten, sich vor dem Portal der Bischofsburg zu treffen, eine Stunde nach dem Ave-Läuten, wenn es schon dunkel war, der Jude aber hoffentlich noch bereit sein würde, sie zu empfangen.
Zur vereinbarten Zeit warteten Cunrat und Giovanni auf den päpstlichen Sekretär. Der Venezianer war viel zu neugierig, als dass er seinen Freund allein mit Bracciolini zu der abendlichen Erkundung hätte gehen lassen.
»Ihr braucht doch einen Übersetzer, Herr!«, erklärte er auf Poggios überraschten Blick. Der schüttelte nur den Kopf – »non credo!« – aber er ließ seinen Landsmann gewähren. Dann führte Cunrat sie zum Haus des jüdischen Arztes, doch Giovanni hatte ihm eingeschärft, nicht den direkten Weg zu nehmen wegen all der Spione, die sich in der Stadt herumtrieben. So gingen sie durch die Arkaden beim Hohen Haus hinab zum Bleicherstaad und über die Brotlaube zur Marktstätte an der Metzig, von dort durch die Tirolergasse in die Sammlungsgasse. Cunrat musste daran denken, was man sich alles von den Juden erzählte und wie verstohlen auch Hanns Hagen das Haus von Meister Ismael verlassen hatte. Als sie vor dessen Tür standen, schien auch Giovanni plötzlich Bedenken zu haben.
»Wartet! Aspettate!«
Er hielt Bracciolini zurück, der ärgerlich seine Hand abschüttelte.
»Wir müssen erst sicher sein, dass uns wirklich niemand bemerkt hat oder gefolgt ist. Es ist nicht gut, mit Juden gesehen zu werden!«
Doch als er es auf Italienisch wiederholt hatte, lachte Bracciolini nur.
»Vado con chi mi pare!«
Dennoch vergewisserten sie sich, dass niemand in der Nähe war, dann klopften sie bei Meister Ismael an das Tor. Sie mussten lang warten, und Bracciolini sah bereits missmutig drein, weil er glaubte, Cunrat habe sich in der Tür geirrt. Doch Giovanni wies ihn auf ein kleines, längliches Holzkästchen hin, das schräg an den rechten Türpfosten genagelt war.
»Die mezuza . Hier wohnt mit Sicherheit ein Jude.«
Cunrat wunderte sich einmal mehr über Giovannis Weltkenntnisse, da öffnete endlich ein Knecht das schwere Holzportal einen Spaltweit und fragte barsch, wer sie seien und was sie um diese Zeit noch wollten. Giovanni erklärte ihm, dass der Sekretär des Papstes den Arzt dringend zu sprechen wünsche. Zunächst wurde die Tür wieder verschlossen, aber nach kurzer Zeit kam der Knecht zurück und bat sie herein. Giovanni und Cunrat folgten Bracciolini wie selbstverständlich, und auch der Knecht akzeptierte sie ohne Weiteres als Gefolge des Papstsekretärs.
Nachdem sie ihre Fackeln in die Steinlöcher neben der Tür gesteckt hatten, um sie zu löschen, wurden sie durch einen Korridor in einen Hof geleitet. Von dort führte eine Außentreppe hoch in das erste Geschoss des dreistöckigen Hauses. Der Knecht führte sie durch die Küche mit ihrem großen offenen Herd in eine Stube, wo der Jude sie empfing. Ein Kachelofen neben der Tür wärmte den Raum mit den Holzbohlenwänden und der Kassettendecke, mehrere
Weitere Kostenlose Bücher