In Nomine Mortis
reiche Kaufleute sowie in Samt, Seide und Spitzen gehüllte
feine Damen auf einem Platz zu finden vermag wie hier. Es war ein Gedränge
und Gestoße, denn alle, vom Baron bis zum Bauern, mussten sich den
Platz mit Maultieren und Ochsen teilen, und unablässig strömten
Menschen hin und fort, von einer Seite der Stadt zur anderen und zurück,
sodass man wohl trefflich sagen könnte, dass über dem Strom des
Wassers ein zweiter, aus Leibern, in luftiger Höhe den ersteren
querte. Die hölzernen Balken knarrten und ächzten unter der Last
der Menschen und Tiere und unter der Wucht der Seine, die, wiewohl längst
nicht so groß wie der Rhein, doch imposant genug dem fernen Meer
entgegenfloss.
Als wir die Cite erreicht
hatten, war ich wie geblendet vom Anblick der mächtigen Kathedrale
Notre-Dame.
Wie fühlte ich mich
winzig im Angesicht dieser Stein gewordenen Lobeshymne. In Köln
bauten die Bürger einen Dom, doch ragten bisher kaum mehr als ein
paar Gewölberippen in den Himmel. Notre-Dame jedoch war bereits seit
achtzehn Jahren vollendet. An jenem frühen Abend, meinem ersten in
Paris, war ich überwältigt und sah kaum mehr als die beiden
wuchtigen Türme, die, engelhaften Zwillingen gleich, ohne Ende in den
Himmel strebten. Zwischen ihnen erstrahlte eine Rosette in gelb und rot,
grün und blau und allen Zwischenfarben des Regenbogens, sodass es mir
wohl dünkt, dass auch das Licht im Paradies schöner kaum
leuchten könne. Wie gerne hätte ich einen Blick in das Innere
der Kathedrale geworfen, doch Bruder Anselm drängte mich, das nahe
Ziel vor Augen, den Weg zum Kloster fortzusetzen.
Widerwillig folgte ich ihm
auf gerader Gasse zum Petit Pont. Als wir am anderen Ende der Insel wieder
die Seine erblickten, bemerkte ich dort viele wunderliche, fest vertäute,
plumpe Kähne. Erst bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass es
schwimmende Mühlen waren: große Barken, mit Wasserrädern
an den Seiten, welche sich in der unablässigen Strömung drehten.
Dutzendfach erklang das Knirschen der schweren Mühlsteine, zwischen
denen das Korn zu Mehl zerrieben wurde. Wir gingen über den Petit
Pont, dann waren wir in der Universite, am linken Ufer der Seine.
Direkt von der Brücke
aus führte eine große Straße gerade durch diesen Teil der
Stadt. Es war die Rue Saint-Jacques. Sie war schlammig, laut und voll,
denn unzählige Händler, die, mit Karren beladen, aus dem Süden
Frankreichs, aus Spanien und Italien und GOTT allein weiß, woher
noch, angereist kamen, drängten sich hier. Zudem sah man hier viele
junge Männer: manche im Habit eines der großen Orden, andere in
prächtigen Wämsern, wie es Söhnen von Rittern und reichen
Kaufleuten wohl geziemt.
»Es sind Studenten«,
murmelte Bruder Anselm, dem meine neugierigen Blicke aufgefallen waren.
Ich glaubte, dass eine Spur Verachtung mitschwang in der Art, wie er dies
aussprach. Für ihn waren Studenten offensichtlich kaum besser als
Vaganten.
Ich hingegen schob mich glücklich
durch die Menge. Vorbei an düsteren Fachwerkhäusern, aus deren höhlenartigem
Innern der Lärm und der Gesang der Tavernen erklang. Nun war ich plötzlich
schneller als Bruder Anselm und konnte es kaum noch erwarten, das Kloster
— meine neue Heimat — zu betreten.
Dann endlich deutete Bruder
Anselm auf eine hohe, dunkle, vom Straßenkot besudelte Mauer, welche
— wir hatten schon mehr als den halben Weg zwischen Seine und
Stadttor zurückgelegt - einen Teil der linken Straßenseite
einnahm. Neben der Mauer erhob sich eine bescheidene Kapelle, deren
einzige Zierde ein schmaler Turm auf dem Dach war, der von der Rue
Saint-Jacques aus kaum zu erkennen war. Die Tür zu diesem Haus GOTTES
stand offen, doch Bruder Anselm führte mich zu einer Pforte in der
Mauer und klopfte energisch dagegen.
Ein alter Mönch öffnete
ein Guckloch und spähte mit kurzsichtigem Blinzeln hinaus, doch als
er unsere Kutten sah, öffnete er die Pforte, so schnell es seine
gichtigen Finger erlaubten.
Das Amt des Portarius oblag
stets einem älteren Mitbruder - doch so ein Greis wie in Paris war
mir noch nie in einem Kloster begegnet: Sein Haupt war kahl, die Haut gelb
wie altes Leder und zerfurcht von den Kratern seiner Pockennarben. Aus
seinem zahnlosen Mund stank er nach Knoblauch und Fäulnis. Sein Körper
war so mager, dass es fast wirkte, als
Weitere Kostenlose Bücher