In sanguine veritas - Die Wahrheit liegt im Blut (German Edition)
wollte die Zeit nutzen, um mich wieder unter Kontrolle zu bringen.
Ich hatte erneut mit ihm gesprochen … der Gedanke legte sich auf meine Seele wie eine Schicht kühlende Salbe auf verbrannte Haut. Es hatte so gut getan, seine Stimme zu hören.
Ich zuckte zusammen, als plötzlich jemand an mein Fenster klopfte. Ich drehte mich um und sah in Elias’ Gesicht. Wie vom Blitz getroffen, sprang ich auf und öffnete mein Fenster. Elias glitt geschmeidig herein und sah sich in meinem Zimmer um.
„Woher weißt du …?“, konnte ich gerade noch sagen, da zog er mich in seine Arme und drückte meinen Kopf gegen seine Schulter.
„Sch hht“, war das Einzige, was er sagte. Er nahm mich auf die Arme und brachte mich hinüber zu meinem Bett. Vorsichtig legte er mich dort ab und hockte sich selber auf den Boden, direkt neben mich. Ich lag auf der Seite. Wir sahen uns einfach nur an, während er mit meinen Haaren spielte und ich weinte. Mit einem Taschentuch tupfte er sanft meine nassen Wangen trocken. Mein Gesicht lag direkt an der Bettkante und irgendwann lehnte er seine Stirn gegen meine und ich sah in seine schwarzen Augen, die keine Pupillen zu haben schienen.
Nachdem ich eine ganze Weile in dem schimmernden Dunkel versunken war, veränderten seine Augen sich plötzlich. Es sah aus, als ob rote Adern sie durchziehen würden , und ganz langsam zeichneten sich die Pupillen ab. Die roten Linien vermischten sich mit der Dunkelheit, die sie umgab, und seine Iris bekam das Aussehen eines dunklen Rubins.
„Deine Augen“, sagte ich und berührte seine Schläfe. Er läche lte. Diese kleine, aber doch so bedeutende Veränderung seiner Mimik durchfuhr mich wie ein warmer Schauer. Er bemerkte meinen verwirrten Ausdruck und kräuselte seine Stirn an meiner.
„Sie , sie haben die Farbe gewechselt, ich habe es genau gesehen!“
„Ja, ich weiß“, sagte er.
„Wieso?“, fragte ich, immer noch Stirn an Stirn mit ihm.
„Kennst du diese Stimmungsringe, deren Steine angeblich je nach Laune die Farbe wechseln sollen? Man bekommt sie oft auf Flohmärkten oder bei Zigeunern.“
„Ja, ich hab mal einen aus einem Kaugummiautomaten b ekommen.“
Er lachte wieder und es war so ansteckend, dass ich auch lachen musste. Wie lange hatte ich nicht mehr gelacht?
„Diese Steine reagieren auf Wärme und nicht auf Stimmungen. Unsere Augen dagegen sind wirklich so etwas wie ein Stimmungsbarometer.“
„Ich hab mal gehört, dass es damit zu tun hat, wie durstig ihr seid“, gab ich peinlich berührt zu. „Deswegen war ich so irritiert.“
„ Das ist ein weitverbreiteter Irrglaube. Ich weiß wirklich nicht, woher das kommt. Na ja, ein bisschen was Wahres ist schon dran. Wenn du hungrig oder durstig bist, hast du auch nicht die beste Laune. Und bei uns ist dieses Durstgefühl noch stärker.“ Er stieß mir eine Welle seines wundervollen Atems in die Nase.
„Am ersten Schul tag hatten sie die gleiche Farbe wie jetzt.“
„Ja, ich war fürchterlich aufgeregt.“
„Am zweiten Tag waren sie hellrot. Sie sahen aus wie Mohnblumen. Seitdem waren sie jeden Tag schwarz.“
Er lächelte verlegen und seufzte.
„Ich habe mich am zweiten Tag sehr auf die Schule gefreut“, antwortete er nach einer langen Zeit der Stille. „Nein, jetzt lüge ich dich an. Ich habe mich, ehrlich gesagt, auf dich gefreut und nicht auf die Schule.“
„Auf mich?“, fragte ich ungläubig und mein Kopf schoss viel zu schnell hoch. Mir wurde ganz schummrig und Elias nahm ihn zwischen seine kühlen Hände.
„Ja. Ich mag dich sehr gerne Miriam. Du bist … du warst so erfrischend offen mir gegenüber und du kannst sehr lustig sein, wusstest du das?“
„Ich war so erfrischend offen …“, wiederholte ich und versuchte meinen Kopf in seinen Händen zu versenken. „Es tut mir leid. Ich bin so blöd. Ich habe es kurz mit der Angst zu tun bekommen und dann kam der ganze Gestaltwandlerquatsch dazwischen und irgendwie …“ Ich konnte den Satz nicht zu Ende bringen, denn Elias ließ mich los und schoss wie ein geölter Blitz auf.
„Du? Du bist eine Gestaltwandlerin?“, fragte er verwundert und atemlos, aber zu meinem Erstaunen nicht angewidert.
„Ja – Mist, ich dachte, du hättest das gleich bemerkt.“ Na toll, jetzt hatte ich ein Versprechen, das ich meiner Mutter gegeben hatte, gebrochen.
„Hast du dich schon mal verwandelt?“, fragte er und nahm wi eder neben mir Platz.
„Nein, bisher noch nicht“, gab ich etwas peinlich berührt zu.
„Oh,
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