In sanguine veritas - Die Wahrheit liegt im Blut (German Edition)
Ich hab ihm gerade wehgetan und weiß nicht mal genau, warum. Wir waren ja nicht beste Freunde oder so. Ich kenne ihn erst ein paar Tage.“
Ich rechtfertigte mich vor meinem Bruder und meinen Freundinnen, aber vor allem vor mir selbst. Meine Freundinnen flankierten mich und wir gingen in die Schule in dem Wissen, dass nichts auf der Welt das, was gerade passiert war, schönreden konnte. Dabei wusste ich wirklich nicht so recht, was eben zwischen uns passiert war.
Elias verbrachte die meiste Zeit mit seiner Schwester oder alleine. Nur manchmal gesellten sich Kevin und Michael zu ihm, aber die wollten ihn nur über Vampire ausfragen und hatten keinerlei Interesse an Elias als Person. Es schien, als hätte er mich wirklich aus seinem Kopf geschlagen und das war gut.
Ich versuchte mir jedenfalls einzureden, dass es gut war, denn ein großer , mächtiger Teil in mir sehnte sich nach seiner Aufmerksamkeit. Eva und Aisha mieden mir zuliebe das Thema Elias, aber sie spürten, wie ich jedes Mal erstarrte, wenn er neben mir Platz nahm. Wir wünschten uns nicht mal einen guten Morgen. Es war so kindisch, aber weder ich noch er raffte sich dazu auf, das erste Wort zu sprechen. Von Tag zu Tag wurde die Distanz zwischen uns größer und mittlerweile schien sie unüberbrückbar.
Nachts, wenn ich alleine wach lag, kamen die Tränen, so wie in dieser Nacht. Ich hätte mir eigentlich Gedanken über mein neues Dasein machen sollen, aber irgendwie erschien es mir, als wäre meine Zukunft mit Elias verknüpft , und ohne ihn gab es keine Hoffnung. Wie konnte mir so etwas passieren? War es zu viel verlangt, Freundschaft zu halten? Weswegen hatte ich ihn eigentlich von mir gestoßen? Was hatte er getan? War ich schon so in diesen Gestaltwandlerkram vertieft, dass ich automatisch meinen natürlichen Feind erkannte und ihn mied? Nein, dafür vermisste ich sein Lachen viel zu sehr! Ob er manchmal mit Kevin und Michael lachte? Oder mit seiner Schwester? Ich hatte ihn schon lange nicht mehr lachen sehen und es tat weh. Der Gedanke an sein verstummtes Lächeln war wie ein Tritt in den Magen. Plötzlich wurde mir bewusst, dass Elias die letzten Wochen in Schwarz gekleidet gewesen war. War jemand gestorben? Bei einer Vampir-Familie wohl eher nicht.
Eine Schlagermelodie und Gelächter drangen an mein Ohr. Meine Eltern tanzten wohl im Wohnzimmer. Das taten sie manchmal. Wenigstens sie waren glücklich, auch wenn die fröhl iche Musik meinen Magen umdrehte und mir eine Träne über die Wange kullerte. Als Kind bin ich oft aufgestanden, um zu ihnen runterzugehen und mich wie ein Brummkreisel im Takt der Musik zu drehen. Manchmal nahm Papa mich auf den Arm und tanzte mit mir. Obwohl ich weinte, musste ich bei dem Gedanken lächeln. Damals hatte es nichts Schöneres für mich gegeben. Was Elias jetzt wohl gerade tat? Insgeheim wünschte ich mir, dass er jetzt auch wach lag und an mich dachte, aber so naiv wollte ich dann doch nicht sein und verdrängte den Gedanken wieder.
Nach einiger Zeit des Grübelns fiel ich in einen leichten Schlaf und wachte erst durch einen merkwürdigen Schrei auf. Irgendwas war auf der Straße draußen passiert. Mit zittrigen Beinen kletterte ich aus dem Bett und ging zum Fenster. Mein Herz raste, als ich vorsichtig den Vorhang zur Seite zog und hinausschaute. Es war nichts zu sehen. Was immer es gewesen war, es hatte dafür gesorgt, dass ich nun hellwach hier am Fenster stand; also ging ich ins Bad und machte mich fertig.
Meine Mutter staunte nicht schlecht, als sie sah, dass ich bereits den Frühstückstisch gedeckt hatte und Orangensaft trank. Ich nahm einen Bus früher als üblich und renkte mir vor lauter Gähnen fast den Kiefer aus. Als ich aus dem Bus stieg und den Ärger vor der Schule sah, wurde ich schlagartig wach.
Schüler, Lehrer und Eltern hatten sich versammelt und demon strierten gegen die Vampire. Sie hatten T-Shirts und Plakate mit Fangzähnen drauf, die mit roten Balken durchgestrichen waren.
Ich schob mich an den Demonstranten vorbei, unter denen auch ein Pfarrer war, der mir freundlich zuwinkte. Höflich erwiderte ich die Geste und sah mich verzweifelt nach meinen Freundinnen um, aber sie waren natürlich noch nicht da.
Im Schulflur war es wie ausgestorben. Alle Schüler, die schon so früh da waren, standen anscheinend draußen und gafften oder demonstrierten sogar selber mit. Ich lehnte mich gegen die erfr ischend kühle Wand neben der Klassentür und ließ mich auf meinen Hintern fallen.
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