In sanguine veritas - Die Wahrheit liegt im Blut (German Edition)

sah mich forschend an. Allein die kleine Bewegung ihres Kopfes hatte gereicht, um mir eine Ladung des köstlichen Vampirdufts in die Nase zu wehen. Seltsamerweise beruhigte mich dieser Duft.
    Elias ’ Augen waren stur geradeaus gerichtet. Soweit ich das sehen konnte, verzog er keine Miene.
    „ Ganz genau können wir dir das auch nicht sagen. Wir haben sie nie selber lesen dürfen.“ Die Vampirin seufzte und wartete anscheinend auf einen Kommentar ihres Bruders.
    „Hmmh … erzähl du!“, sagte Elias.
    Anastasijas dunkelrote Granataugen fixierten einen Punkt an der Decke des Autos. Sie holte tief Luft und begann zu erzählen.
    „Es war Sommer 1993, als In sanguine veritas auf die Idee kam, dass alle Vampire auf der ganzen Welt sich registrieren lassen sollten. Davor hat jede Vampirfamilie mehr oder weniger für sich selbst gelebt. Grund für diesen Sinneswandel war eine alte Prophezeiung über eine Zwillingsvampirgeburt. Vorher war ISV nur ein Zusammenschluss aus wissenshungrigen Vampiren, die über alten Schriften brüteten, jede Menge Geld anhäuften und allerlei Forschungen betrieben. Den Gelehrten fiel plötzlich auf, dass die Zwillinge bereits geboren sein könnten, ohne dass irgendjemand von ihnen es mitbekommen hatte. Und so war es auch. Elias und ich waren bereits zweieinhalb Jahre alt.“
    „Und ihr seid tatsächlich die Prophezeiten?“, fragte ich.
    „Wie bereits erwähnt, besagten die alten Schriften, dass zwei Vampire bei einer Geburt zur Welt kommen würden. Das eine Baby sei ein Junge und das andere ein Mädchen. Ihr Haar soll golden sein.“ Anastasija drehte eine Locke auf ihrem schlanken Zeigefinger auf. „Nun ja, dass Vampirgeburten selten sind, hat dir Mama bereits erzählt. Eine Zwillingsgeburt hat es, so heißt es, vor uns noch nie gegeben. Alle Zeichen deuteten auf uns und die Freude des ISV-Bundes war groß, als sich eine Familie aus Rumänien mit zwei gleich alten Kindern meldete. Papa reiste oft nach Deutschland, was damals noch nicht so leicht war. Die Menschen wussten nichts von unserer Existenz und deswegen musste er stets hungrig reisen. Nur wenn es ihm nicht gut ging, blieben seine Augen dunkel. Sie durften nicht rot werden, damit er nicht auffiel. Stell dir mal vor, du sitzt stundenlang total hungrig in einem Zug voller Gratisessen, darfst aber, um zu überleben, nichts davon anfassen.“
    Ich schüttelte mich bei dem Gedanken daran.
    „Konnte er nicht fliegen? Das wäre schneller gegangen.“
    „Ohne einen Reisepass oder Auswe is? Nein, das ging nicht, das war zu gefährlich. Wenn der Zug an der Grenze kontrolliert wurde, dann konnte Papa die Kontrolleure in seinem einsamen Abteil hypnotisieren. Im Flugzeug wäre das nicht möglich gewesen.“
    „Verstehe“, sagte ich kleinlaut.
    „Nachdem wir 2002 an die Öffentlichkeit gegangen waren, verlangte ISV mehrmals, dass wir unser sicheres Nest in Rumänien aufgaben und nach Deutschland zogen. Im Frühjahr dieses Jahres hatten unsere Eltern sich überreden lassen und wir zogen um. Man gab uns diese riesige Villa, die du ja schon gesehen hast. Unser Vater erhielt eine Anstellung bei ISV und man tätowierte uns.“ Anastasija zeigte mir ihren Daumen. Wie Elias hatte auch sie dort einen Code aus Buchstaben und Zahlen. „An dem zweiten Abend, den wir in Deutschland waren, bekamen wir Besuch von Herrn von Rosenheim. Er erzählte uns das erste Mal von der Prophezeiung.“
    Anastasija löste ihren Blick vo m Autodach und durchbohrte jetzt mich damit.
    „Und was steht dort?“ , hauchte ich.
    Anastasija zögerte. „Du bist der zweite und endgültige Beweis, dass in der Prophezeiung von uns gesprochen wird.“
    Ich sah die Vampirin ungläubig an und spürte, wie Elias nervös wurde.
    „ Der junge Vampirprinz soll, noch bevor er ausgewachsen ist, einer außergewöhnlichen Gestaltwandlerin begegnen. Es heißt, dass er sein Herz an sie verlieren wird und aus dieser Liebe wird eine mächtige Verbindung entstehen, die uns mit den Gestaltwandlern einen wird.“
    Ich war sprachlos! Daher wussten sie von mir! Als Elias erfa hren hatte, dass ich eine Wandlerin war, war ihnen klar geworden, dass von mir die Rede gewesen sein muss.
    Es herrschte absolute Stille im Auto. Ich versuchte meine Geda nken zu ordnen, aber da waren so viele Fragen.
    „Von wem ist die Prophezeiung?“
    „Von einem Ältesten.“ Anas Augen verrieten, dass sie mehr wusste, sie wollte es aber nicht sagen.
    Wir fuhren eine ganze Weile, bis mir plötzlich eine neue Frage