Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Santiago sehen wir uns wieder

In Santiago sehen wir uns wieder

Titel: In Santiago sehen wir uns wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Uhde-Stahl
Vom Netzwerk:
ein Stück Schokolade? Du musst nur zehn Schritte zurückgehen!« - »Wir kennen uns von La Faba her«, sagt Heinz aus St. Gallen. Er schenkt mir ein Beutelchen mit Nüssen und Rosinen. »Ich mache mir Sorgen über die Zeit danach«, sage ich, »ich habe Angst, dass sich nichts ändern wird.« - »Bella, es kann nicht sein... « Langsam gehen wir weiter, in herzlichem Einvernehmen und wärmendem Gespräch. In der nächsten Bar sitzen seine Freunde. Heimatlich schwäbische Laute. »Darf ich mich an eure Fersen heften? Heute möchte ich nicht allein sein.« Klar, und so gehen wir zu viert weiter. Früh kommen wir in Calvor an, die Herberge macht erst in drei Stunden auf. Soll ich doch noch ein Stückchen weitermarschieren? Es geht sich so gut in dieser Formation, und der Tag ist noch so jung. »Geh weiter, Bella«, rufen meine Füße aus Santiago, aber ich bin schon längst entschlossen. So lande ich an diesem Tag in Barbadelo und bekomme das zweitletzte Bett.
     
    ❖
     
    Die Santiagokirche in Barbadelo. »Soll ich Ihnen etwas zu dieser Kirche erzählen?«, fragt die junge Frau, die Aufsicht hat. »Sie wurde im 12. Jahrhundert erbaut, der Chor erst im 18. Jahrhundert, aber der Chorbogen ist ursprünglich.« - »Oho«, sage ich - meine alte Leidenschaft erwacht -, »das kann nicht sein, sehen Sie sich die Profile an. Der ist unter Garantie aus dem 18. Jahrhundert, oder mindestens zu dieser Zeit wurde die Öffnung erweitert und bearbeitet.« Wir schauen uns Stein für Stein in der vielfach veränderten Kirche an, sitzen im Kirchenschiff nebeneinander und unterhalten uns leise. Lucia hat in Santiago Kunstgeschichte studiert. Santiago! »Heute interessiere ich mich nicht mehr für die Baugeschichte, sondern für die Ausstrahlung einer Kirche«, sage ich. »Jede hat eine andere Energieform.« - »Dahinten bei dem Taufbecken unter dem Turm spüre ich Energien«, sagt Lucia. Wir zwei stehen am Taufbecken, ich spüre einen wärmenden Strom aufsteigen. Wie er beim Herzen ankommt, sagt Lucia: »Ich spüre ihn im Herzen.«
    Tief versunken sitze ich in der Kirche, nehme ihre Kräfte in mich auf und bitte den, der dafür zuständig sein mag, darum, dass er die Eisenspangen und Schlösser von meinem Herzen wegräumen möge. Auch wenn ich bis ans Ende der Welt gehen muss. »Hi«, sagt Amanda, »Santiago, Finisterra, da bist du schneller als du denkst.« Die Sonne wirft die letzten Strahlen auf das Eingangsportal. Langsam gehe ich zur Herberge zurück. Alberta aus Katalonien sitzt davor.
    »Hast du die Eintragungen im Besucherbuch der Kirche gelesen?«, fragt Alberta. »Alle sprechen dieselbe Sehnsucht. Der Camino ist ein Weg des Herzens. Weißt du, beim Gehen weine ich viel, weil wieder etwas hochkommt. Alles hinter mir lassen... Hier auf dem Jakobsweg wirst du zum Christen. Nicht die Kirche, aber diese Freiheit hier!« - sie berührt ihre Herzgegend. »In völliger Freiheit Liebe suchen. Ich werde bis ans Ende der Welt dafür wandern. Aber den Weg des Herzens muss man allein gehen, Bella«, fährt Alberta fort. »Ja«, erwidere ich, »noch dazu versteckt er sich, man muss ihn suchen. Wie im richtigen Leben. Alles auf dem Jakobsweg ist wie im richtigen Leben.« - »Während des Gehens übe ich mich im urteilsfreien Beobachten - sehen >sin jugar<.« - »Und hören ohne zu urteilen - lauschen, aus allen Geräuschen ein Konzert machen!« - Wir umarmen uns. Die Sonne geht hinter den Feldern unter. »Hast du die Bäume gesehen?« Alberta weist auf die mächtigen Eichen. »Sie haben eine ungeheure Kraft, ich spüre sie im Rücken. Man sieht unter jedem einen Druiden.« Nun hat mir der Camino auch noch die Bäume geschenkt, denke ich. Es wird dunkel, wir verabschieden uns voneinander: »Hasta luego. In Santiago sehen wir uns wieder...«
    Moment mal, denke ich, wie haben wir uns eigentlich verständigt, Alberta und ich? Zwischen den Brocken aus Katalanisch, Spanisch, Französisch und Englisch, den Sprachen der Hände und der Mimik ist etwas geflossen, das keines Wortes bedarf.
    »Bella, du hattest noch Hunger«, sagt Amanda, »du weißt doch, wenn du hungrig bist, kannst du nicht einschlafen.« Da liegt, wie ich mit meiner frisch gewaschenen Wäsche auf dem Arm ins Haus gehe, in einer sonnengelben Plastiktüte eine glutrote Tomate.
     
    Leise hatte sich Leni vor Sonnenaufgang aus dem Schloss geschlichen. Ich muss die verlorenen Stücke des goldenen Bechers finden, dachte die Prinzessin, aber wie? Die Sonne ging im Osten auf, Leni ließ sie

Weitere Kostenlose Bücher