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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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in die kalte Dunkelheit hinaus. Ich wollte nicht nach draußen, aber ich wollte auch nicht hierbleiben, wo ich nur schweißgebadet in meinem Bett liegen und mit wild klopfendem Herzen und trockenem Mund darauf warten würde, dass es endlich zu dämmern begann und die unerträgliche Angst wieder erträglich wurde. Wenn ich hier blieb, würde ich ständig auf die Uhr blicken.
    Irgendwann würde ich einschlafen, aber schon nach wenigen Minuten mit einem Ruck wieder hochschrecken.

    Ich würde ängstlich jedem Geräusch lauschen und mich sogar vom Wind erschrecken lassen. Und ich würde an Jo denken. An sie und an mich. An ihn, wie er mich dort in der Dunkelheit beobachtete.
    »Ich komme mit«, sagte ich. »Wo steht Ihr Wagen?«
    »Vor meinem Haus.«
    »Und wo ist Ihr Haus?«
    »Belsize Park. Ein paar Stationen mit der U-Bahn.«
    »Nehmen wir lieber ein Taxi.« Der Gedanke, mich in dieser Nacht noch unter die Erdoberfläche zu begeben, war furchtbar.
    »Einverstanden.«
    »Ich ziehe mir bloß schnell etwas Wärmeres an. Diesmal werde ich tatsächlich jemanden anrufen und sagen, mit wem ich unterwegs bin. Sorry. Ich hoffe, Sie sind mir deswegen nicht böse.«

    15
    Soweit ich das in der Dunkelheit beurteilen konnte, wohnte Ben Brody in einem schönen Haus, ganz in der Nähe eines Parks. Die Straße war breit und von hohen Bäumen gesäumt, die ihre kahlen Äste im Licht der Straßenlaternen wiegten.
    »Warum warten Sie nicht einfach im Wagen, während ich rasch ein paar Sachen hole? Sie sehen völlig erledigt aus.«
    Nachdem er mir aufgeschlossen hatte, stieg ich auf der Beifahrerseite ein. Es war eiskalt, und alle Fenster waren vereist. In Bens Auto herrschte Ordnung, bis auf eine Schachtel Kleenex und einen Straßenatlas. Ich wickelte mich noch fester in meine dicke Jacke und blies Dampfwolken in die eisige Luft, während ich wartete. Im ersten Stock von Bens Haus ging Licht an. Ein paar Minuten später erlosch es wieder. Ich warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett: schon fast zwei. Ich fragte mich, was ich hier eigentlich tat, mitten in der Nacht, in einem Teil von London, in den ich noch nie zuvor einen Fuß gesetzt hatte, im Wagen eines Mannes, den ich nicht kannte. Mir fiel keine Antwort ein, die Sinn ergab, außer dass ich kurz vor dem totalen Zusammenbruch stand.
    »Wir können starten.«
    Ben hatte die Fahrertür geöffnet. Er trug Jeans, einen dicken Pulli und eine alte Lederjacke.
    »Was haben Sie denn da alles dabei?«
    »Eine Taschenlampe, eine Decke, ein paar Orangen und Schokolade für die Reise. Die Decke ist für Sie. Legen Sie sich auf den Rücksitz, dann decke ich Sie zu.«

    Ich erhob keine Einwände, sondern kletterte nach hinten und legte mich hin. Er breitete eine dicke Decke über mich aus, stieg ebenfalls ein, ließ den Motor an und drehte die Heizung auf. Eine Weile lag ich mit offenen Augen da. Ich sah Straßenlaternen und hohe Gebäude vorbeifliegen, dann Sterne, Bäume, ein weit entferntes Flugzeug am Himmel. Ich schloss die Augen.

    Ich verschlief einen großen Teil der langen Fahrt, wachte aber öfter auf. Einmal hörte ich Ben einen Song vor sich hinbrummen, den ich nicht kannte. Ein anderes Mal kämpfte ich mich in eine sitzende Position und blickte aus dem Fenster. Es war noch immer dunkel, und ich konnte keine Lichter entdecken, wohin ich auch blickte. Wir waren das einzige Auto weit und breit. Ben reichte mir wortlos ein paar Rippen Schokolade. Ich aß sie langsam und legte mich wieder hin. Ich wollte nicht reden. Um halb sechs hielten wir an, um zu tanken. Es war immer noch dunkel, doch am Horizont ließ sich bereits eine Spur von verschwommenem Grau erahnen. Es kam mir noch kälter vor als bisher, und auf den Hügelkuppen konnte ich Schnee erkennen. Ben kam mit zwei Styroporbechern Kaffee zurück. Nachdem ich samt meiner Decke nach vorn auf den Beifahrersitz geklettert war, reichte er mir meinen Kaffee, und ich wärmte mir die Hände an dem Becher.
    »Mit Milch, aber ohne Zucker«, sagte er.
    »Wie haben Sie das erraten?«
    »Wir haben schon mal miteinander Kaffee getrunken.«
    »Oh. Wie weit ist es noch?«
    »Nicht mehr weit. Das Cottage liegt eineinhalb Kilometer von einem Dorf namens Castleton entfernt, an der Küste. Sie können einen Blick auf die Karte werfen, wenn Sie möchten – sie liegt neben Ihren Füßen auf dem Boden. Sie müssen mich wahrscheinlich ohnehin ein bisschen lotsen.«
    »Glauben Sie, dass sie dort ist?«
    Er zuckte mit den Achseln. »In den frühen

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