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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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–, und manche erfordern Recherchen. Ich weiß noch, als sie an einer Kinderenzyklopädie mitgearbeitet hat und kurze Kapitel über englische Bäume schreiben musste. Da ist sie herumgefahren und hat dreihundertjährige Eiben besichtigt, zum Beispiel.«
    »Und ist sie zuverlässig?«
    »Normalerweise sehr. Gezwungenermaßen, denn sie muss von ihrer Arbeit leben.«
    »Versetzt sie Sie oft?«
    Er sah mich nachdenklich an.
    »Wie ich schon gesagt habe: Sie ist eigentlich sehr zuverlässig.«
    »Folglich sollte sie eigentlich hier sein, ist es aber nicht.
    Sie ist auch nicht in Urlaub gefahren. Etwas stimmt da nicht.«
    »Möglicherweise haben Sie Recht«, antwortete Ben leise, den Blick auf sein Bierglas gerichtet. »Es könnte auch sein, dass sie weggefahren ist, um ihre Arbeit zu Ende zu bringen. Das hat sie schon öfter getan. Ihre Eltern haben ein Cottage in Dorset, das sie ihr stets gern zur Verfügung stellen. Sie kann dort in aller Ruhe arbeiten, ohne gestört zu werden …«
    »Können Sie sie dort anrufen? Haben Sie ein Handy dabei?«
    »In aller Ruhe, weil es dort nicht einmal ein Telefon gibt.«
    »Was ist mit ihrem Handy?«
    »Sie ist nicht erreichbar, ich habe es bereits ein paarmal probiert.«
    »Oh.«
    »Sie könnte allerdings auch bei ihren Eltern sein. Ihr Vater ist krank. Krebs. Vielleicht geht es ihm schlechter.
    Haben Sie es dort schon versucht?«
    »Ich wusste nichts von ihren Eltern.«
    »Dann wäre da noch der Freund, den sie phasenweise hat, Carlo. Der letzte Stand der Dinge war, dass sie sich erneut getrennt hatten, doch möglicherweise sind sie inzwischen wieder zusammen, und sie ist bei ihm. Haben Sie ihn schon angerufen?«

    Ich holte tief Luft. Weshalb war mir so seltsam zumute?
    »Nein«, antwortete ich. »Ich wusste nichts von einem Freund. Ich kann mich nicht daran erinnern. Aber Ihnen hätte sie das doch sicher erzählt, Sie waren schließlich mit ihr verabredet.«
    Er zuckte mit den Achseln.
    »Ich bin nur ihr Freund. Einen Freund kann man auch mal versetzen.«
    »Manchmal.«

    »Jo leidet unter Depressionen«, sagte er langsam und mit gerunzelter Stirn. »Ich meine, sie ist oft richtig depressiv, nicht nur schlecht gelaunt. Obwohl ich in letzter Zeit das Gefühl hatte, dass es ihr wieder besser ging.« Er leerte sein Bierglas und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich begleite Sie jetzt zurück in die Wohnung, und dann rufen wir alle Personen an, die ihr nahe stehen –
    Carlo, ihre Eltern –, und fragen, ob sie etwas von ihr gehört haben.«
    Er fischte ein Handy aus seiner Manteltasche und hielt es mir unter die Nase.
    »Hier, bitte. Geben Sie jemandem Bescheid, einer Freundin, einer Kollegin, der Polizei, wem Sie wollen.
    Sagen Sie, dass Sie mit mir unterwegs sind. Dann können wir aufbrechen und diese Telefonate erledigen.«
    »Das ist sehr nett von Ihnen«, fing ich an.
    »Mit Nettigkeit hat das nichts zu tun. Jo ist meine Freundin.«
    »Ich brauche niemanden anzurufen«, erklärte ich, während eine innere Stimme mich beschwor: »O doch, du dummes, dummes Weibsstück!«
    »Wie Sie meinen.«

    Auf dem Rückweg erzählte ich ihm, dass ich Jos Wohnung im Grunde nur durch die Restaurantrechnung und den Schlüssel im Handschuhfach meines Wagens gefunden hatte.
    »Er war abgeschleppt worden«, fügte ich hinzu. »Ich musste über hundert Pfund bezahlen, und jetzt hat er eine Parkkralle am Reifen. Sehen Sie!« Ich deutete auf die Stelle und sperrte überrascht den Mund auf. Der Wagen war nicht mehr da. Wo er gestanden hatte, war jetzt ein freier Parkplatz. »Er ist weg! Verdammt noch mal, er ist schon wieder weg! Wie ist das möglich? Ich dachte, der Sinn einer Parkkralle ist, dass man das Fahrzeug nicht bewegen kann!«
    »Wahrscheinlich ist er wieder abgeschleppt worden.« Es kostete ihn sichtlich Mühe, sich ein Lächeln zu verkneifen.
    »Mist!«

    Ich machte eine Flasche Wein auf. Meine Hände hatten wieder zu zittern begonnen, und es dauerte eine Ewigkeit, bis ich den Korken entfernt hatte. Ben wählte eine Nummer, lauschte einen Moment, begann dann zu sprechen. Mir war klar, dass er nicht mit Jos Mutter sprach. Nachdem er aufgelegt hatte, wandte er sich zu mir um.
    »Das war die Frau, die auf ihren Hund aufpasst. Jos Eltern sind in Urlaub und kommen erst übermorgen wieder zurück.«
    Ich schenkte ihm ein Glas Wein ein, das er jedoch nicht anrührte. Statt dessen setzte er seine Brille auf und begann im Telefonbuch zu blättern.
    »Carlo? Hallo, Carlo, hier ist

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