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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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verstreut lagen. Alles machte einen schäbigen und vernachlässigten Eindruck.
    »Hier steht kein Wagen«, stellte Ben fest. »Es ist niemand da.«
    »Wir sollten trotzdem nachsehen.«
    »Ja, wahrscheinlich.« Er klang entmutigt, doch als ich ausstieg, folgte er mir. Das eisige Gras knirschte unter unseren Füßen. Ich trat an ein Fenster und presste mein Gesicht gegen die Scheibe, konnte jedoch kaum etwas erkennen. Ich rüttelte an der Tür, aber sie war abgeschlossen.
    »Wir müssen irgendwie reinkommen.«
    »Glauben Sie, dass das etwas bringt? Sie sehen doch, dass niemand hier war.«
    »Sie sind gerade vier Stunden gefahren, nur um hier herzukommen. Was sollen wir tun – ein Fenster einschlagen?«
    »Ich könnte versuchen, das obere Fenster zu erreichen«, meinte er skeptisch.
    »Wie wollen Sie das schaffen? Außerdem scheint es ebenfalls verschlossen. Warum schlagen wir nicht einfach das Fenster ein. das ohnehin schon einen Sprung hat? Wir können es später reparieren lassen.«
    Bevor er widersprechen konnte, wickelte ich meinen Schal um meine Faust, schlug damit fest gegen die gesprungene Scheibe und zog den Arm wieder zurück, um mir nicht das Handgelenk zu verletzen. Ich war ziemlich stolz auf mich – genau so machten sie es im Film auch immer. Anschließend zog ich die noch im Rahmen steckenden Glasstücke heraus und schichtete sie auf dem Boden neben dem Fenster zu einem kleinen Stapel. Dann öffnete ich das Fenster von innen.
    »Wenn Sie mich auf Ihren Rücken steigen lassen, klettere ich hinein«, sagte ich zu Ben.
    Stattdessen legte er die Hände um meine Taille und hob mich zum Fenster hinauf. Die Erinnerung daran, wie ich im Keller gepackt und von dem Mauervorsprung gehoben worden war, überfiel mich so plötzlich, dass ich befürchtete, hysterisch loszuschreien. Aber da stand ich schon in der Küche. Ich schaltete das Licht ein, stellte fest, dass im Kamin nasse Asche lag, und ließ Ben zur Haustür herein. Schweigend gingen wir durchs Haus. Oben gab es ein Schlafzimmer und eine Abstellkammer, unten eine Wohnküche, ein WC und eine Dusche. Das Bett war nicht bezogen, der Boiler nicht angeschaltet. Im ganzen Haus herrschte eisige Kälte. Es war definitiv nicht bewohnt.
    »Wir sind umsonst hergefahren«, sagte Ben matt.
    »Immerhin wissen wir jetzt, dass sie nicht hier ist.«
    »Tja.« Ben stocherte mit der Spitze seines Stiefels in der nassen Asche herum. »Ich hoffe, es geht ihr gut.«
    »Ich lade Sie zum Frühstück ein«, wechselte ich das Thema.
    »Bestimmt finden wir irgendwo am Meer ein Café, wo wir etwas Warmes bekommen. Sie müssen sich ein bisschen ausruhen und etwas Anständiges essen, bevor Sie sich wieder ans Steuer setzen.«
    Da es in Castleton nur ein Postamt und einen Pub gab, fuhren wir in den nächsten größeren Ort. Dort fanden wir ein kleines Café, das in den Sommermonaten vermutlich von Touristen überquoll, jetzt aber leer war. Immerhin hatten sie geöffnet und boten englisches Frühstück an. Ich bestellte für uns beide das »Spezial« – Würstchen, Eier, Speck, Pilze, gegrillte Tomaten und Toast – und eine große Kanne Kaffee.

    Das fettige, vertraute Essen tat gut. Wir ließen es uns schweigend schmecken.
    »Wenn Sie es rechtzeitig zu Ihrer Besprechung schaffen wollen, sollten wir langsam aufbrechen«, sagte ich, nachdem ich den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte.

    Während der Rückfahrt sprachen wir nicht viel. Auf der Straße war jetzt mehr Verkehr, und je näher wir London kamen, desto dichter drängten sich die Autos, bis es schließlich nur noch stockend voranging. Ben blickte immer wieder besorgt auf die Uhr.
    »Sie können mich an einer U-Bahn-Station rauslassen«, sagte ich, aber er bestand darauf, mich bis zur Wohnung zu chauffieren, und stieg sogar noch aus, um mich zur Tür zu begleiten.
    »Auf Wiedersehen«, sagte ich verlegen. Unsere lange gemeinsame Fahrt erschien mir bereits unwirklich. »Sie halten mich auf dem Laufenden, ja?«
    »Natürlich.« Er wirkte müde und niedergeschlagen. »Ich werde mit Jos Eltern reden, sobald sie aus dem Urlaub zurück sind. Recht viel mehr kann ich bis dahin nicht tun, oder? Vielleicht ist sie ja bei ihnen.«
    »Ich hoffe, Ihre Besprechung läuft gut.«
    Er blickte an sich hinunter und versuchte zu lächeln.
    »Ich sehe heute nicht gerade wie ein Geschäftsmann aus, hm? Na ja, was soll’s!« Er zögerte einen Moment, als wollte er noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders, drehte sich um und kehrte zu

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