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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Nein-Fragen treffen es nicht. Es war viel komplizierter.«
    Burrow rückte noch näher an mich heran, wiederholte seine Frage in leisem Ton: »Hat er Sie je mit einer Waffe bedroht? Beispielsweise einem Messer?«
    »Ich glaube schon.«
    »Sie glauben?«
    »Ja. Ich meine, ja, er hat es getan.«
    »Hat er jemals seine Hände oder seinen Arm um Ihren Hals gelegt?«
    Meine Reaktion auf diese Frage überraschte mich selbst.
    Ich begann hemmungslos zu weinen. Blind vor Tränen tastete ich nach einem Taschentuch, aber meine Hände schienen nicht richtig zu funktionieren. Dabei wusste ich nicht einmal, weshalb ich weinte. Ich wusste nicht, ob es wegen meiner gescheiterten Beziehung mit Terry war oder weil ich um mein Leben bangen musste. Und nun auch noch die Sache mit Sally. Sally, deren Nachnamen ich nicht gekannt hatte. Vergeblich versuchte ich, mir ihr Gesicht vorzustellen. Sie war eine Frau, der ich wahrscheinlich nichts Gutes gewünscht hätte, wenn ich überhaupt einen Gedanken an sie verschwendet hätte, und nun war ihr dieses Unglück zugestoßen. Machte mich das zu einem kleinen Grad mit verantwortlich?
    Als ich mich von meinem Heulanfall einigermaßen erholt hatte, stellte ich fest, dass Cross mit zwei Pappbechern vor mir stand. Der erste, den er mir reichte, enthielt Wasser, das ich mit einem Zug austrank. In dem anderen Becher war heißer, starker Kaffee. Ich nahm vorsichtig einen Schluck.
    »Ich möchte, dass Sie eine Aussage machen«, sagte er.
    »Falls Sie sich dazu in der Lage fühlen.« Ich nickte. »Gut.
    Wir holen eine Beamtin, die alles zu Protokoll nehmen wird, anschließend gehen wir das Ganze noch einmal durch.«
    So kam es, dass ich die nächsten zweieinhalb Stunden einen Pappbecher Kaffee nach dem anderen trank und über all die Dinge in meiner Beziehung mit Terry sprach, die ich eigentlich hatte vergessen wollen. Es heißt ja, über schlimme Erfahrungen zu sprechen hätte eine therapeutische Wirkung. Bei mir war das Gegenteil der Fall. Obwohl es in meinem Leben ein paar Menschen gab, mit denen ich sehr gut befreundet war, hatte ich mit ihnen nie über Terry gesprochen, zumindest nicht über die ganz schlimmen Sachen. Ich hatte diese Dinge nie zur Sprache gebracht, nie beim Namen genannt. Als ich sie nun in Jim Burrows Büro laut aussprach, erwachten sie zu neuem Leben und machten mir Angst.
    Viele Monate war ich einfach der Meinung gewesen, in einer etwas problematischen Beziehung zu leben, in der die Dinge bisweilen außer Kontrolle gerieten, weil wir Kommunikationsprobleme hatten. Als ich nun alles in Worte fasste, hörte sich das ganz anders an. Die Frau, die meine Aussage mitschrieb, war eine junge uniformierte Beamtin. Als ich den Abend beschrieb, an dem Terry sturzbetrunken nach einem Küchenmesser griff, damit vor mir herumfuchtelte und es mir an den Hals drückte, hörte sie zu tippen auf und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich erklärte, dass er das nicht ernst gemeint habe. Dass er mir niemals Schaden zugefügt hätte. WPC
    Hawkins, Burrow und Cross sahen mich an und wechselten viel sagende Blicke. Alle drei verzichteten darauf, laut auszusprechen, was auf der Hand lag – dass er mir sehr wohl Schaden zugefügt hatte und wem ich eigentlich etwas vormachen wollte. Allmählich begann ich mich selbst zu fragen: Hatte ich ein Problem? War ich das geborene Opfer? Während ich die Geschichte erzählte, begann ich mir ernstlich Sorgen um diese Frau zu machen, die sich das so lange hatte gefallen lassen. Und ich dachte über die Frau nach, an die ich mich nicht erinnern konnte, die Frau, die gesagt hatte, nun sei das Maß endgültig voll, und zur Tür hinausmarschiert war.
    Ich versuchte, mir Sally Adamson vorzustellen, die Frau, die zu mir gesagt hatte, wir seien uns überhaupt nicht ähnlich, und die man nun starr und kalt in einem winterlichen Vorgarten gefunden hatte. Plötzlich musste ich daran denken, dass sie vielleicht noch Terrys Sperma in sich getragen hatte, während sie dort tot unter der Hecke lag. Dieser Gedanke trieb mir die Schamesröte ins Gesicht, und ich befürchtete, meine glühenden Wangen könnten Cross verraten, was mir gerade Schreckliches durch den Kopf gegangen war. Schnell fragte ich, wer sie gefunden habe. Es war der Postbote gewesen. Ich stellte mir vor, wie sie von einem Fremden gefunden wurde, während die Menschen, die sie kannten und liebten, von ihrem Tod noch keine Ahnung hatten. Und ich begann mich zu fragen, ob Terry das tatsächlich getan haben

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