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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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konnte. Falls ja – falls er es wirklich getan hatte, was bedeutete das dann für mich und meine Geschichte?
    Niemand hatte mir geglaubt, doch bis jetzt hatte ich wenigstens mir selbst geglaubt. Das war das Einzige, was mich bisher davon abgehalten hatte, wahnsinnig zu werden.

    17
    Nachdem ich meine Aussage beendet hatte, fühlte ich mich völlig ausgebrannt. Die Geschichte entsprach in allen Punkten der Wahrheit, aber ich hatte dennoch das unbestimmte Gefühl, dass es sich nicht um die Geschichte handelte, die ich eigentlich hatte erzählen wollen. Mir war, als müsste ich noch etwas Wichtiges hinzufügen, konnte aber vor Erschöpfung keinen klaren Gedanken mehr fassen. Cross sah das Protokoll mit kritischem Blick durch, nickte hin und wieder. Er kam mir vor wie ein Lehrer beim Korrigieren einer eher mangelhaften Hausaufgabe. Nachdem ich die Aussage dreimal unterschrieben hatte, trug WPC Hawkins den kleinen Stapel Blätter fort. Ich überlegte, was ich jetzt tun sollte, als Cross mir anbot, mich nach Hause zu fahren. Ich protestierte, doch er behauptete, ohnehin in meine Richtung zu müssen. Mir fehlte die Energie für weiteren Widerspruch.
    Der erste Teil der Fahrt führte uns durch stark befahrene Straßen, die mir nicht bekannt vorkamen. Ich starrte vor mich hin und versuchte, an nichts zu denken. Ein aussichtsloses Unterfangen. Natürlich begann ich, in Gedanken alles noch einmal zu rekapitulieren, und nach kurzer Zeit konnte ich die Augen nicht mehr davor verschließen.
    »Anhalten«, sagte ich.
    »Was ist los?«, fragte Cross.
    »Ich glaube, ich muss mich übergeben.«
    »Um Himmels willen!« Er blickte sich verzweifelt um.
    »Hier ist überall Halteverbot, aber ich finde bestimmt gleich eine Stelle, wo ich anhalten kann.«
    »Sie sind doch Polizist!«
    »Moment, Moment noch! Wenn es gar nicht mehr geht, dann bitte aus dem Fenster!«
    Er bog von der Hauptstraße in eine Seitenstraße ein und hielt am Randstein an. Ich riss die Tür auf und rannte hinaus. Vor mir ragte eine hohe Ziegelmauer auf, wahrscheinlich die Seite einer Fabrik oder Lagerhalle. Ich legte die Hände auf die raue Oberfläche, die sich wundervoll kalt anfühlte, und lehnte den Kopf dagegen.
    Plötzlich spürte ich eine Hand auf meinem Rücken.
    »Geht es wieder?«
    Eine warme, säuerliche Flüssigkeit stieg in meinem Hals hoch, aber ich schluckte sie hinunter und holte mehrmals tief Luft.
    »Sie haben einen schweren Tag hinter sich«, meinte Cross.
    »Nein, nein«, widersprach ich. »Ich meine, ja, aber das ist nicht der Grund.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Ich ging ein paar Schritte und versuchte mich zu wärmen, indem ich die Arme um mich schlang. Es war Abend geworden, und mein Atem bildete vor meinem Gesicht eine weiße Wolke. Wir befanden uns am Rand eines Industriegebiets. Hinter Stacheldraht ragten hohe Gebäude auf, die trotz ihrer modernen Bauweise ein wenig verrußt wirkten. Frazer Glass and Glazing Co. Leather Industries Centre. Tippin Memorial Masons.
    »Sie liegen völlig falsch«, sagte ich.
    »Steigen Sie wieder ein.«
    »Warten Sie einen Moment«, versuchte ich ihn zurückzuhalten. »Sie wissen, dass ich im Moment keine besonders herzlichen Gefühle für Terry hege.«
    »Das kann ich mir vorstellen.«
    »Er ist ein Mann mit ernsthaften Problemen, und wahrscheinlich braucht er jede Hilfe, die er bekommen kann, aber diesen Mord hat er nicht begangen.«
    »Miss Devereaux, Abbie, steigen Sie wieder ein. Ich erfriere hier draußen.«
    »Werden Sie mir im Auto ein paar Fragen beantworten?«
    »Was Sie wollen. Hauptsache, ich muss nicht mehr in dieser Kälte herumstehen.«
    Wir saßen eine Weile schweigend im Wagen.
    »Halte ich Sie von etwas ab?« fragte ich.
    »Nicht direkt«, antwortete er.
    »Mir gehen ständig diese Fragen durch den Kopf, ich kann nichts dagegen tun. Ich weiß, dass Sie der Experte sind, aber trotzdem ergibt das Ganze für mich keinen Sinn.
    Zum einen ist Terry einfach kein Mörder. Und selbst wenn er es wäre, würde er sich meiner Meinung nach keine Frau aussuchen, mit der er gerade eine Beziehung angefangen hat. Und wenn er trotz allem beschlossen hätte, sie umzubringen, dann wäre es entweder in seiner oder ihrer Wohnung passiert. In diesem Fall hätte er die Leiche bestimmt nicht drei Häuser weiter abgelegt. Da hätte er sich die Mühe, sie zu verstecken, gleich sparen können!«
    Die erste Reaktion von Jack Cross, sofern man das überhaupt eine Reaktion nennen konnte, bestand darin, den Wagen zu starten

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