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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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einem schweren Rucksack auf dem Rücken zu laufen. Sie rannten und rannten, und als sie schließlich ihr Ziel erreichten, dem Zusammenbruch nahe, gab man ihnen den Befehl, die ganze Strecke wieder zurückzulaufen.
    Man glaubt, man kann nicht mehr, aber man kann.
    In jedem Menschen steckt mehr, als man denkt.
    Verborgene Tiefen. Zumindest redete ich mir das ein. Wo lag wohl meine eigene Belastungsgrenze?

    Ich wachte auf, weil mir jemand eine Ohrfeige verpasste.
    Ich wollte nicht aufwachen. Wozu auch? Wofür lohnte es sich noch aufzuwachen? Ich wollte mich bloß zusammenrollen und schlafen. Weitere Ohrfeigen. Die Kapuze wurde hochgeschoben, der Knebel aus meinem Mund gezogen.
    »Bist du wach?«
    »Ja. Hören Sie auf.«
    »Ich habe Essen für dich. Mach den Mund auf.«
    »Was für Essen?«
    »Was zum Teufel spielt das für eine Rolle?«
    »Erst trinken. Mein Mund ist so trocken.«
    Gemurmel in der Dunkelheit. Sich entfernende Schritte.
    Das war gut. Ein winziger Sieg. Ein klitzekleines Stück Kontrolle. Ich hörte ihn wieder zu mir heraufkommen. Der Strohhalm schob sich in meinen Mund. Ich war furchtbar durstig, hatte aber auch das starke Bedürfnis, die Fasern und Flusen des schrecklichen alten Lumpens wegzuspülen, der mich so lange am Atmen gehindert hatte.
    »Mund auf!«
    Ein Metalllöffel wurde mir in den Mund geschoben. Er war mit irgendetwas Weichem beladen. Plötzlich erschien mir die Vorstellung, etwas zu essen, das ich nicht sehen konnte und das mir von diesem Mann in den Mund geschoben wurde, der mich irgendwann umbringen würde, derart ekelhaft, dass ich das Gefühl hatte, gleich auf rohem Menschenfleisch herumkauen zu müssen. Ich begann zu würgen und zu spucken.
    »Verdammt noch mal!«, fluchte er. »Entweder du frisst jetzt dieses Zeug, oder ich streiche dir für einen Tag das Wasser!«
    Einen Tag. Das war gut. Wenigstens hatte er nicht vor, mich schon heute umzubringen.
    »Moment, gleich!«, sagte ich und holte ein paarmal tief Luft.
    »Jetzt geht es.«
    Der Löffel kratzte in einer Schüssel, ich spürte ihn wieder in meinem Mund. Ich leckte ihn ab und schluckte.
    Es war etwas Haferbreiartiges, bloß fader, weicher und leicht süßlich. Es schmeckte wie einer dieser laschen Babybreis, die man aus Pulver anrührt. Vielleicht war es aber auch eine der Spezialzubereitungen, wie man sie in der Apotheke kaufen kann, gedacht für Leute, die sich gerade von einer schweren Krankheit erholen. Ich schluckte. Eine weitere Portion Brei wurde mir in den Mund geschoben. Insgesamt vier Löffel voll. Er wollte mich offenbar nicht mästen, bloß am Leben erhalten. Als ich fertig war, bekam ich noch ein wenig Wasser.
    »Pudding?« fragte ich.
    »Nein.«
    Mir kam ein Gedanke. Ein wichtiger Gedanke.
    »Wann sind wir uns begegnet?«
    »Wie meinst du das?«
    »Seit ich hier aufgewacht bin, habe ich ganz schreckliche Kopfschmerzen. Waren Sie das? Haben Sie mir auf den Kopf geschlagen?«
    »Worauf willst du hinaus? Willst du mich verarschen?
    Versuch das bloß nicht! Denk dran, was ich dir antun könnte.«
    »Ich will Sie nicht verarschen. Das ist überhaupt nicht meine Absicht. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann
    … nicht einmal da bin ich sicher. Es ist alles so verschwommen. Ich weiß noch, dass ich im Büro war, und ich erinnere mich an …«
    Ich wollte sagen »meinen Freund«, da schoss mir durch den Kopf, dass das vielleicht keine so gute Idee war, weil er vermutlich eifersüchtig werden würde. »Ich erinnere mich an meine Wohnung. Dass ich irgendetwas in meiner Wohnung gemacht habe. Dann bin ich hier aufgewacht und weiß weder, wie ich hergekommen bin, noch, wie wir uns kennengelernt haben. Ich wollte Sie lediglich bitten, mir davon zu erzählen.«
    Eine ganze Weile herrschte Stille. Ich fragte mich schon, ob er gegangen war, da hörte ich plötzlich ein pfeifendes Geräusch, das ich geschockt als Lachen identifizierte.
    »Was?« fragte ich. »Was ist daran so lustig?«
    Sprich weiter, Abbie. Halte die Kommunikation aufrecht. Und denk nach. Die ganze Zeit dachte ich krampfhaft nach. Ich musste daran denken, am Leben zu bleiben, daran denken, nichts zu fühlen, denn irgendwo in meinem Hinterkopf wusste ich instinktiv, wie fatal es für mich wäre, wenn ich mir gestattete, etwas zu fühlen – als würde ich mich von einer Klippe in die Dunkelheit stürzen.
    »Ich geh dir nicht auf den Leim«, sagte er.
    »Auf den Leim?«
    »Du trägst eine Kapuze. Du kannst mein Gesicht nicht sehen. Deswegen versuchst du,

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