Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
schnell ich konnte? Ja, ich hatte das Gefühl gehabt, dass er mir dicht auf den Fersen war. Ich war so schnell gelaufen, dass es schmerzte. Wie lange ich wohl in der Lage wäre, mit Höchstgeschwindigkeit zu laufen? Ich wusste es nicht. Ein paar Minuten? Möglich. Die Umstände waren alles andere als normal gewesen. Ich hatte um mein Leben rennen müssen.
    Der Tag erschien mir immer kälter und grauer.

    »Ich bin Ihnen keine große Hilfe, nicht wahr?«, meinte ich.
    Cross wirkte geistesabwesend, schien mich kaum zu hören.
    »Was?« fragte er.
    »Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr sagen.«
    »Lassen Sie sich Zeit.«

    Während der kurzen Fahrt zurück zum Krankenhaus war Jack Cross wortkarg und starrte aus dem Fenster. Einmal raunte er dem Fahrer ein paar Worte zu.
    »Werden Sie das Anwesen durchsuchen lassen?«, fragte ich.
    »Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte«, antwortete er.
    »Es gibt dort über tausend verlassene Wohnungen.«
    »Ich war ziemlich weit unten, glaube ich. In einem Keller. Höchstens im Erdgeschoss.«
    »Miss Devereaux, das Browning-Anwesen nimmt fast einen halben Quadratkilometer ein. Dafür habe ich nicht genug Leute.«
    Er begleitete mich bis zu meinem neuen Einzelzimmer.
    Das war immerhin etwas, ein Zimmer ganz für mich allein. Er blieb im Türrahmen stehen.
    »Es tut mir Leid«, sagte ich. »Ich dachte, es würde besser laufen.«
    »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken«, antwortete er mit einem Lächeln, das schnell wieder aus seinem Gesicht verschwand. »Wir sind auf Sie angewiesen. Sie sind alles, was wir haben. Wenn Ihnen noch etwas einfällt …«

    »Was ist mit den anderen Frauen – Kelly, Kath, Fran, Gail und Lauren? Können Sie das nicht überprüfen lassen?«
    Plötzlich sah Jack Cross aus, als hätte er von der ganzen Sache die Nase voll.
    »Ich habe jemanden damit beauftragt. Aber das ist nicht so einfach, wie Sie sich das vorstellen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wie soll ich diese Namen Ihrer Meinung nach überprüfen lassen? Wir haben keine Nachnamen, keine Orts- oder Zeitangaben, nicht einmal ein ungefähres Datum. Wir haben gar nichts. Bloß ein paar gewöhnliche Vornamen.«
    »Was kann man da machen?«
    Er zuckte mit den Achseln.

    Eine Krankenschwester rollte ein Tischchen mit einem Telefon herein und reichte mir ein paar Münzen. Ich wartete, bis sie den Raum wieder verlassen hatte, dann warf ich eine Zwanzig-Pence-Münze ein.
    »Mum?«
    »Abigail, bist du das?«
    »Ja.«
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Mum, ich wollte dir sagen …«
    »Mir ging es die letzten Tage ganz fürchterlich schlecht.«
    »Mum, ich muss mit dir reden, dir etwas erzählen.«
    »Mein Magen. Ich konnte vor Schmerzen nicht schlafen.«
    Ich hielt einen Moment inne, holte tief Luft.

    »Das tut mir Leid«, sagte ich. »Warst du schon beim Arzt?«
    »Ich bin ständig beim Arzt. Er hat mir ein paar Tabletten gegeben, nimmt es aber nicht wirklich ernst. Ich habe kein Auge zugetan.«
    »Das ist ja furchtbar.« Meine Hand umklammerte den Hörer. »Du könntest nicht für einen Tag nach London kommen, oder?«
    »Nach London?«
    »Ja.«
    »Im Moment nicht, Abigail. Nicht in meinem Zustand.
    Ich kann nirgend wohin fahren.«
    »Mit dem Zug ist es bloß eine knappe Stunde.«
    »Deinem Vater geht es auch nicht gut.«
    »Was fehlt ihm?«
    »Das Übliche. Aber warum kommst du uns nicht mal besuchen? Du warst schon eine Ewigkeit nicht mehr bei uns.«
    »Ja.«
    »Ruf aber vorher an.«
    »Ja.«
    »Ich muss aufhören«, sagte sie. »Ich mache gerade einen Kuchen.«
    »Ja. Schon gut.«
    »Melde dich bald mal wieder.«
    »Ja.«
    »Also bis dann.«
    »Ja«, antwortete ich. »Bis dann, Mum.«

    Ich wurde von einer großen Maschine aufgeweckt, die gerade zur Tür hereingeschoben wurde. Es war das riesige Monstrum einer Bodenreinigungsmaschine mit einer sich drehenden, kreisförmigen Bürste und Düsen, aus denen seifiges Wasser strömte. Zweifellos wäre es wesentlich effektiver gewesen, einen Eimer und einen Wischmop zu benutzen. Insbesondere in einem so kleinen Zimmer wie dem meinen war eine solche Maschine völlig sinnlos. Sie kam weder in die Ecken noch unters Bett, und Tische mochte sie auch nicht besonders, so dass sie der Mann, der ihr folgte, lediglich über die wenigen freien Flächen schob. Hinter ihm hatte ein weiterer Mann den Raum betreten. Dieser zweite Mann sah nicht aus wie jemand vom Reinigungspersonal, aber auch nicht wie ein Krankenpfleger oder Arzt, denn er trug schwarze Schuhe, eine weite

Weitere Kostenlose Bücher